Die große Verschwörung

Drittes Buch - Die fünfte Kolonne in Rußland

XIX. TAGE DER ENTSCHEIDUNG

l. Der Krieg wandert nach Westen

Im Jahre 1935 waren die Pläne für den gemeinsamen deutsch-japanischen Angriff auf die Sowjetunion weit gediehen. Die japanischen Armee’n in der Mandschurei unternahmen wiederholte „Sondierungs“-Streifzüge und Ausfälle in sowjetisches Gebiet. Das deutsche Heereskommando führte mit faschistischen Kreisen des polnischen Heeres Geheimverhandlungen über den Abschluß einer sowjetfeindlichen Militärallianz. In den baltischen Ländern und am Balkan, in Österreich und der Tschechoslowakei stand die Fünfte Kolonne in Bereitschaft. Die reaktionären englischen und französischen Diplomaten waren eifrige Förderer des nazistischen Drangs nach dem Osten…

Nach längeren Unterredungen zwischen dem französischen Ministerpräsidenten Pierre Laval und dem englischen Außenminister Sir John Simon gaben die Regierungen Englands und Frankreichs am 3. Februar eine gemeinsame Erklärung ab, durch die Deutschland von gewissen im Versailler Vertrag vorgesehenen Rüstungsbeschränkungen befreit wurde. Der „Observer“ schrieb am 17. Februar:

„Warum entwickeln die japanischen Diplomaten derzeit eine so rege Tätigkeit in Warschau und Berlin? … Die Antwort ist in Moskau zu suchen … Die Beziehungen zwischen Deutschland, Polen und Japan werden täglich enger. Im Kriegsfalle würden diese Länder eine sowjetfeindliche Allianz darstellen.“

In der Annahme, daß die Deutschen ihre Waffen eines Tages gegen die Sowjetunion gebrauchen würden, unterstützten die sowjetfeindlichen Staatsmänner Großbritanniens und Frankreichs das nationalsozialistische Aufrüstungsprogramm auf jede erdenkliche Weise.

Am l. März gab Frankreich das Saargebiet mit seinen wichtigen Kohlenbergwerken auf Grund eines Volksentscheids an Deutschland zurück. Während der Abstimmung, der eine intensive Propagandakampagne vorangegangen war, übten die Nazis einen terroristischen Druck auf die Einwohnerschaft aus.

Am 16. März erklärte die Regierung des Dritten Reiches, daß sie die Bestimmungen des Versailler Vertrages nicht mehr als bindend betrachte; gleichzeitig wurden die Botschafter Englands, Frankreichs, Polens und Italiens von der gesetzlichen Einführung der „allgemeinen Dienstpflicht“ verständigt.

Am 13. April wurde in Berlin die Schaffung einer aus schweren Bombern bestehenden Luftflotte angekündigt.

Am 18. Juni, elf Tage nach dem Amtsantritt des konservativen Ministerpräsidenten Stanley Baldwin, erfolgte die Bekanntgabe des englisch-deutschen Flottenabkommens. Nazideutschland erhielt das Recht, eine neue Flotte zu bauen und eine „Unterseeboot-Tonnage zu besitzen, die der Gesamttonnage der im Besitz aller Mitglieder des britischen Commonwealth befindlichen Unterseeboote entspricht“. Die Vereinbarung war das Ergebnis eines Briefwechsels zwischen dem nazistischen Außenminister Joachim von Ribbentrop und dem neuen englischen Außenminister Sir Samuel Hoare.

Am 3. November berichtete das „Echo de Paris“ über eine Unterredung des Präsidenten der Deutschen Reichsbank, Dr. Hjalmar Schacht, mit dem Gouverneur der Bank von England, Sir Montagu Norman, und dem Gouverneur der Banque de France, Monsieur Tannery. Die französische Zeitung zitierte folgende Äußerung Dr. Schachts:

„Wir haben nicht die Absicht, unsere Grenzen im Westen zu ändern. Früher oder später werden Deutschland und Polen sich in die Ukraine teilen, aber im Augenblick wollen wir uns damit zufrieden geben, unsere Stärke in den baltischen Provinzen fühlbar zu machen.“

Am 11. November bemerkte die „New York Herald Tribüne“:

„Ministerpräsident Laval, der gleichzeitig Außenminister ist, setzt sich mit allem Nachdruck für eine Vereinbarung zwischen der französischen Dritten Republik und dem nazistischen Dritten Reich ein. Er soll bereit sein, den französisch-sowjetischen Pakt, der unterzeichnet, aber noch nicht vom französischen Parlament ratifiziert ist, gegen einen Vertrag mit Deutschland einzutauschen, durch den das Hitler-Regime die französische Ostgrenze garantieren und dafür vollständige Handlungsfreiheit im Memelgebiet und in der Ukraine erhalten würde.“

Angesichts der wachsenden Kriegsgefahr betonte die Sowjetregierung wiederholt die Notwendigkeit einer gemeinsamen Aktion aller durch den faschistischen Angriffswillen bedrohten Länder. Im Völkerbund und in den Hauptstädten Europas, bemühte sich der sowjetische Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten, Maxim Litwinow, unermüdlich um die Förderung der kollektiven Sicherheit und den Zusammenschluß der nicht aggressiven Nationen. Am 2. Mai 1935 wurde ein Abkommen für gegenseitige Hilfe zwischen der Sowjetregierung und Frankreich unterzeichnet, am 16. Mai kam ein ähnlicher Vertrag mit der Tschechoslowakei zustande.

„Wir alle müssen erkennen, daß die Kriegsgefahr schon morgen akut werden kann“, erklärte Litwinow vor dem Völkerbund. „Die Organisierung des Friedens, für die bis jetzt so wenig geschehen ist, muß der außerordentlich aktiven Organisierung des Krieges entgegentreten.“

Im Oktober 1935 fiel Mussolini in Abessinien ein. Pierre Laval und Sir Samuel Hoare gaben dem Vorrücken der faschistischen Armeen ihren diplomatischen Segen.

Der zweite Weltkrieg, der im Jahr 1931 mit dem Überfall der Japaner auf die Mandschurei begonnen hatte, griff auf den Westen über.[62]

Auf sowjetischem Boden war bereits eine großangelegte faschistische Offensive gegen das Kriegspotential der Roten Armee im Gange. Der Block der Rechten und Trotzkisten hatte gemeinsam mit deutschen und japanischen Agenten eine sorgfältig geplante, systematische Kampagne gegen die Industrie, das Transportwesen und die Landwirtschaft der Sowjetunion in die Wege geleitet. All diese Umtriebe zielten darauf ab, das Verteidigungssystem der Sowjetunion für den kommenden Krieg zu schwächen. Unter der sachverständigen Leitung des trotzkistischen Stellvertretenden Volkskommissars für Schwerindustrie, Pjatakow, wurde eine rücksichtslose Sabotagetätigkeit betrieben.

„Die terroristische Methode“, sagte Pjatakow in einer Geheimversammlung der Rechten und Trotzkisten, „ist drastisch, aber noch lange nicht ausreichend. Was wir brauchen, ist die Untergrabung des Ansehens der Stalinschen Führerschaft, die Gefährdung der von der Sowjetmacht errungenen Erfolge, die Desorganisierung des Wirtschaftslebens… Wir müssen unser Ziel mit der größten Energie verfolgen. Wir müssen mit äußerster Entschlossenheit handeln, mit Kraft und Beharrlichkeit. Wir dürfen vor nichts zurückschrecken. Alle Mittel sind nützlich und erlaubt - so lautet Trotzkis Direktive, die vom trotzkistischen Zentrum unterschrieben wird!“

Im Herbst 1935 erreichte die koordinierte Tätigkeit der an allen wichtigen Punkten eingesetzten Sabotagegruppen einen Höhepunkt. In den neuen schwerindustriellen Betrieben des Ural, in den Kohlenbergwerken des Donbas und Kusnezkbeckens, auf den Eisenbahnlinien, auf Bauplätzen und in Kraftwerken führten die trotzkistischen Saboteure unter Pjatakows Leitung gleichzeitig mächtige Schläge gegen die lebenswichtigsten Zweige der Sowjetindustrie. Auch auf den Kollektivgütern, in den Genossenschaften und den staatlichen Finanz- und Handelsinstitutionen wurde nach Anweisungen Bucharins und anderer Führer der Rechten destruktiv gearbeitet. Deutsche und japanische Agenten waren an der Organisierung dieser Sabotagekampagne maßgeblich beteiligt.

Hier folgen einige von den Tätern selbst stammende Berichte über Sabotageoperationen, die von deutschen und japanischen Agenten, Rechten und Trotzkisten ausgeführt wurden:

Iwan Knjasew, Trotzkist und japanischer Agent, leitender Beamter der Eisenbahnverwaltung im Ural:

„Die Aufträge, die sich auf den Ausbau der Sabotage- und Zerstörungstätigkeit und die Herbeiführung von Zugentgleisungen bezogen, brachte ich restlos zur Ausführung, da sich die einschlägigen Instruktionen des japanischen militärischen Geheimdienstes mit den Anweisungen deckten, die ich einige Zeit vorher von der trotzkistischen Organisation erhalten hatte … Das Eisenbahnunglück, das sich am 27. Oktober in Schumicha ereignete, war unser Werk. Es handelte sich um einen Truppentransport. Der Zug raste mit einer Geschwindigkeit von 40 bis 50 Stundenkilometern über das achte Geleise, auf dem ein mit Eisenerz beladener Frachtzug stand. Neunundzwanzig Rotarmisten wurden getötet, neunundzwanzig verwundet… Es gelang uns, dreizehn bis fünfzehn Entgleisungen herbeizuführen …

Der japanische Geheimdienst unterstrich immer wieder die dringende Notwendigkeit im Kriegsfalle bakteriologische Methoden anzuwenden und die Truppenzüge, Kantinen und Armeespitäler mit Krankheitsträgern zu verseuchen.“

Leonid Serebrjakow, Trotzkist, stellvertretender Leiter der Eisenbahnverwaltung:

„Wir hatten uns eine ganz konkrete, genau umrissene Aufgabe gestellt: es kam darauf an, den Frachtverkehr zu stören, eine möglichst große Anzahl von Waggons leer laufen zu lassen und auf diese Weise die tägliche Lademenge zu reduzieren, die sehr niedrig gehaltenen Normen für den Einsatz von Waggons und Lokomotiven nicht zu erhöhen, die Zugkraft und Leistungsfähigkeit der Lokomotiven nicht voll auszunützen und ähnliches mehr … Auf Pjatakows Vorschlag besuchte mich (der Trotzkist und japanische Agent) Lifschitz in der Zentralverwaltung für motorisierten Straßentransport. Er war Direktor des südlichen Eisenbahnnetzes… Lifschitz erzählte mir von einem seiner Beamten, Sorin, der geeignet wäre, die Sabotage bei den südlichen Eisenbahnen zu organisieren…

Unsere Besprechung führte zu folgendem Ergebnis: wir durften uns nicht mit der Tätigkeit in der Zentrale und in den Provinzen, die eine völlige Verwirrung des Transportwesens herbeiführen sollte, begnügen. Wir mußten uns die Möglichkeit sichern, während der ersten Mobilmachungstage die wichtigsten Knotenpunkte zu blockieren. Wir wollten die Leistungsfähigkeit dieser wichtigen Stationen durch künstliche Überlastung reduzieren und so eine gründliche Zerrüttung des Transportsystems herbeiführen.“

Alexei Schestow, Trotzkist und Naziagent, Vorstandsmitglied der Kohlenverwaltung „Kusnezkugol“:

„Im Prokopjewsk-Bergwerk kam das Ort- und Pfeilersystem zur Anwendung, ohne daß für die Verpackung der Hohlräume gesorgt wurde. Dieses System erhöhte den Kohlenverlust, der normalerweise 15 bis 20 Prozent beträgt, auf mehr als 50 Prozent. Als weitere Folge dieses Verfahrens hatten wir im Prokopjewsk-Bergwerk bis Ende 1935 sechzig Wetterbrände. …. Die Tieferführung der Schächte wurde, besonders in der Molotow-Grube, im falschen Zeitpunkt begonnen; in der hundert Meter tief gelegenen Sohle der Koksowaja-Grube wurde vom Jahre 1933 an absichtlich nicht gearbeitet, die Tieferführung der Maneicha-Grube wurde nicht rechtzeitig in Angriff genommnen … Bei der Einrichtung der unterirdischen Kraftstation und der Montage von Maschinen kam es zu zahlreichen Sabotageakten…“

Stanislaw Rataitschak, Trotzkist und Naziagent, Leiter der Zentralverwaltung der Chemischen Industrie:

„In Ausführung der mir erteilten Instruktionen … sorgte ich für drei Betriebsstörungen, eine Arbeitsunterbrechung in den Gorlowka-Werken und zwei weitere schwere Störungen, die eine in den Newski-Werken, die andere in den Vereinigten Chemischen Werken von Woskressensk.“

Jakow Drobnis, Trotzkist, stellvertretender Leiter der Kernerowo-Werke:

„Seit Ende Juli 1934 war mir die gesamte Sabotagetätigkeit im Kusnezkbecken übertragen … Ich hatte das ganze Jahr 1933 in Zentralasien verbracht. Im Mai 1934 wurde ich auf Beschluß des trotzkistischen Zentrums nach Westsibirien geschickt. Das konnte ohne jede Schwierigkeit bewerkstelligt werden, da Pjatakow jederzeit in der Lage war, mich zu einer anderen Industrie zu versetzen …

Zu den in unserem Plan vorgesehenen Schädigungen gehörte die Vergeudung von Geldmitteln für die Durchführung verhältnismäßig unwichtiger Maßnahmen; ferner die Verzögerung von Bauarbeiten mit dem Effekt, daß wichtige Abteilungen nicht an den von der Regierung vorgesehenen Daten eröffnet werden konnten… In der Kraftstation des Bezirks wurden alle Vorkehrungen getroffen, um das Bergwerk auf ein gegebenes Zeichen unter Wasser setzen zu können, sobald dieser Schritt für unsere Sabotagezwecke notwendig erscheinen sollte. Außerdem wurde für Feuerungszwecke ungeeignete Kohle geliefert, was zu Explosionen führte. Das geschah mit voller Überlegung … eine Anzahl von Arbeitern wurde schwer verletzt.“

Michail Tschernow, Mitglied der Rechten, Agent der deutschen Militärspionage, Volkskommissar für Landwirtschaft:

„Der deutsche Geheimdienst legte besonderen Wert auf die Gefährdung der Pferdezucht, um … die Belieferung der Roten Armee mit Pferden zu beeinträchtigen. Es gehörte auch zu unserem Programm, in der Verteilung von Saatgut durch Mischung der verschiedenen Sorten Unordnung anzurichten. Auf diese Weise wurden die Ernteerträge herabgesetzt … Auf dem Gebiete der Viehzucht war es unser Ziel, reinrassige Zuchttiere zu töten und die Anlage von Lebensmittelreserven durch, Erhöhung der Sterblichkeitsziffern zu verhindern. Wir bedienten uns zu diesem Zweck in erster Linie der Methode der künstlichen Infektion mit verschiedenen Arten von Bakterien …

Um die Viehbestände von Ostsibirien zu reduzieren, ersuchte ich den Chef des Veterinäramtes, Ginsburg, der Mitglied der Organisation der Rechten war, kein Milzbrandserum nach Ostsibirien zu liefern … Als 1936 in dieser Gegend eine Milzbrandepidemie ausbrach, stellte sich heraus, daß kein Serum vorhanden war. Mehr als 25000 Pferde gingen auf diese Weise zugrunde.“

Wassili Scharangowitsch, Mitglied der Rechten, polnischer Geheimagent, Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei von Bjelorußland:

„Mein besonderer Wirkungskreis war die Landwirtschaft. Im Jahre 1932 entwickelten wir auf diesem Gebiet eine umfangreiche Sabotagetätigkeit. Zunächst wurde der Fortschritt der Kollektivierung aufgehalten … Ferner störten wir die planmäßige Einsammlung des Getreides …. Wir sorgten durch unsachgemäße Ausführung von Impfungen gegen Schweinepest für die Verbreitung dieser Seuche, die einen großen Teil des Schweinebestandes hinwegraffte …

Im Jahre 1936 erkrankte eine große Anzahl von Pferden an Anämie. Wir hatten diese Epidemie absichtlich hervorgerufen, weil Pferde bei der Verteidigung von Bjelorußland eine außerordentlich wichtige Rolle spielen. Wenn ich mich recht erinnere, fielen dieser Maßnahme 30000 Pferde zum Opfer.“

2. Ein Brief Trotzkis

Ende 1935, als der künftige Krieg bereits dunkle Schatten über die Erde warf, traf in Moskau ein Spezialkurier Trotzkis ein, der Karl Radek einen Brief überbrachte. Diese seit langem sehnsüchtig erwartete Nachricht kam aus Norwegen.[63] Radek öffnete den Umschlag, dem acht Bogen dünnen englischen Briefpapiers entfielen. Mit größter Spannung begann er zu lesen.

Der Bericht enthielt alle Einzelheiten des Geheimabkommens, das Trotzki in allernächster Zeit mit der deutschen und der japanischen Regierung abschließen sollte.

Nach einer Einleitung, die vom „Sieg des deutschen Faschismus“ und dem unmittelbar bevorstehenden Ausbruch eines „internationalen Krieges“ handelte, kam Trotzki zu dem eigentlichen Thema des Briefes:

„Unser Aufstieg zur Macht kann auf zweierlei Art erfolgen. Die eine Möglichkeit ist die Machtübernahme vor dem Krieg; nach der zweiten Variante würden wir die Regierung während des Krieges übernehmen …

Es muß zugegeben werden, daß die Machtfrage für den Block erst nach der militärischen Niederlage der UdSSR praktische Bedeutung erlangen wird. Auf diesen Augenblick muß sich der Block mit aller Energie vorbereiten …“

Von nun an, schrieb Trotzki, müßte die „Sabotagetätigkeit der Trotzkisten in der Kriegsindustrie“ unter direkter „Aufsicht der deutschen und japanischen Heeresleitung“ vor sich gehen. Die Trotzkisten dürften ohne vorherige Zustimmung ihrer deutschen und japanischen Verbündeten keine einzige „praktische Maßnahmen zur Durchführung bringen.“

Um sich die volle Unterstützung Deutschlands und Japans zu sichern, ohne die an eine „Machtergreifung nicht zu denken“ sei, müßte der Block der Rechten und Trotzkisten zu weitgehenden Zugeständnissen bereit sein. Und nun folgten nähere Angaben über die Art dieser Zugeständnisse:

„Deutschland braucht Rohstoffe, Nahrungsmittel und Absatzmöglichkeiten. Es wird eine Beteiligung an der Auswertung unserer Erze, Mangane und Goldbergwerke, unseres Petroleums und Phosphorits verlangen. Wir müssen Deutschland eine Zeitlang Lebensmittel und Fette unter dem Weltmarktpreis liefern. Wir werden das Petroleum von Sachalin an Japan abtreten und für den Fall eines amerikanisch-japanischen Krieges Öllieferungen garantieren müssen. Auch Japan fordert eine Beteiligung an der Ausbeutung unserer Goldfelder. Wir werden der Besitzergreifung der Donauländer und des Balkans durch Deutschland und der Besetzung Chinas durch die Japaner keinen Widerstand entgegensetzen … Territoriale Zugeständnisse werden sich als unvermeidlich erweisen. Wir werden das Küstengebiet und das Amurgebiet an Japan, die Ukraine an Deutschland abtreten müssen.“

Dann gab Trotzki eine Charakterisierung des Regimes, das an die Stelle der Sowjetregierung treten würde:

„Die Regierung des Blocks wird sich nur dann halten können, wenn die soziale Struktur der UdSSR den Lebensformen der kapitalistischen Staaten angenähert wird …

Die Beteiligung deutschen und japanischen Kapitals an der Ausbeutung der UdSSR wird starke kapitalistische Interessen auf sowjetischem Gebiet ins Leben rufen. Die dörflichen Bevölkerungsschichten, die der kapitalistischen Denkweise noch nicht entwachsen und mit der Kollektivierung der Landwirtschaft unzufrieden sind, werden Anschluß an diese Kreise suchen. Deutschland und Japan werden verlangen, daß wir in den ländlichen Distrikten eine gewisse Entspannung herbeiführen.

Es wird unvermeidlich sein, Zugeständnisse zu machen und die Auflösung der Kollektivwirtschaften oder den Austritt aus diesen Gemeinschaften zu gestatten.“

Das neue Rußland werde durchgreifende politische und wirtschaftliche Reformen und drastische Gebietsveränderungen erleben:

„Von Demokratie kann keine Rede sein. Die Arbeiterklasse hat nach achtzehn Revolutionsjahren weitgehende Gelüste. Ein Teil dieser Arbeiterklasse wird in Privatfabriken und Staatsbetriebe zurückgeschickt werden, die unter den schwierigsten Bedingungen den Konkurrenzkampf mit dem ausländischen Kapital aufnehmen müssen. Das bedeutet, daß der Lebensstandard der Arbeiterklasse eine merkliche Verschlechterung erfahren wird. Auf dem Lande wird es zu erneuten Auseinandersetzungen zwischen den armen und Mittelbauern und den Kulaken kommen. Um an der Macht zu bleiben, brauchen wir eine starke Regierung - gleichgültig, in welche Form sie sich kleidet.“

Radek las Trotzkis Brief mit gemischten Gefühlen. Er sagte später: „In der Nacht überdachte ich noch einmal all diese Direktiven … Obwohl Trotzkis Vorschläge nur bereits bekannte Elemente enthielten, war es mir klar, daß er durch deren Übersteigerung zu einem Punkt gelangt war, wo es keine Grenze mehr gab … Wir hatten aufgehört, Herren unserer Entschlüsse zu sein.“ Am nächsten Morgen setzte er Pjatakow vom Inhalt des Briefes in Kenntnis. Es ist unbedingt notwendig, eine Aussprache mit Trotzki herbeizuführen“, sagte Pjatakow. Er selbst war im Begriff, in offizieller Eigenschaft eine Auslandsreise anzutreten, die ihn für einige Tage nach Berlin führen sollte. Er ersuchte Radek, Trotzki auf raschestem Wege von diesen Reiseplänen zu verständigen und ihm eine baldige Zusammenkunft in Berlin vorzuschlagen.

3. Flug nach Oslo

Pjatakow traf am 10. Dezember 1935 in Berlin ein. Radeks Botschaft hatte Trotzki rechtzeitig erreicht. Pjatakow wurde von einem Kurier, dem Trotzkisten Dmitri Bucharzew, empfangen. Bucharzew war der Berliner Korrespondent der „Iswestija“. Er teilte Pjatakow mit, daß er durch einen gewissen Stirner Nachricht von Trotzki erhalten werde. Stirner, fügte er erklärend hinzu, sei Trotzkis „Verbindungsmann“ in Berlin.[64]

Stirner erwartete Pjatakow und Bucharzew in einem abgelegenen Teil des Tiergartens. Er überreichte Pjatakow einen kleinen Zettel, auf den Trotzki folgende Worte geschrieben hatte: „J. L. (die Anfangsbuchstaben von Pjatakows Namen), der Überbringer ist absolut vertrauenswürdig.“

Stirners mündliche Mitteilungen waren ebenso knapp gehalten. Trotzki lege großen Wert darauf, Pjatakow zu sehen und habe ihn, Stirner, beauftragt, alles Nötige zu veranlassen. Er fragte, ob Pjatakow bereit sei, nach Oslo zu fliegen.

Pjatakow wußte natürlich, wie leicht er sich durch, eine solche Reise kompromittieren konnte. Aber er hatte es sich nun einmal vorgenommen, unter allen Umständen mit Trotzki zusammenzukommen. Er erklärte sich einverstanden, und Stirner forderte ihn auf, am nächsten Morgen auf dem Tempelhofer Flugfeld zu erscheinen.

Als Pjatakow die Paßfrage anschnitt, antwortete Stirner: „Lassen Sie das meine Sorge sein. Ich habe meine Verbindungen in Berlin.“

Am nächsten Morgen stellte sich Pjatakow zur vereinbarten Zeit im Tempelhofer Flughafen ein. Stirner erwartete ihn am Eingang. Er forderte Pjatakow auf, ihm zu folgen. Während sie den Weg über das Flugfeld zurücklegten, zeigte ihm Stirner den Paß, den er für ihn besorgt hatte: er war von der nationalsozialistischen deutschen Regierung ausgestellt. Das Flugzeug wartete abfahrtbereit.

Am Nachmittag landeten sie auf einem Flugfeld in der Nähe von Oslo. Eine halbstündige Autofahrt brachte sie in einen ländlichen Vorort der norwegischen Hauptstadt. Der Wagen hielt vor einem kleinen Haus, in dem Trotzki seinen alten Freund erwartete.

Die Jahre der Verbannung und Verbitterung hatten den Mann, in dem Pjatakow seinen Führer sah, stark verändert. Trotzki war über seine Jahre hinaus gealtert. Er hielt sich schlecht, Haar und Bart waren ergraut. Die Intensität seines Blickes grenzte an Besessenheit.

Einige sparsame Begrüßungsworte wurden gewechselt, dann ordnete Trotzki an, ihn mit Pjatakow allein zu lassen. Das Gespräch, das sich nun entwickelte, dauerte zwei Stunden.

Pjatakow begann mit einem Bericht über die Lage in Rußland. Trotzki unterbrach ihn unaufhörlich durch scharfe, sarkastische Bemerkungen.

Er warf Pjatakow und seinen übrigen russischen Anhängern vor, daß sie zuviel redeten und zuwenig handelten. Ärgerlich bemerkte er: „Ihr verwendet natürlich viel zu viel Zeit auf die Erörterung internationaler Probleme: ihr tätet besser daran, euch um eure Angelegenheiten zu kümmern, mit denen ihr so schlecht vorwärtskommt! Von internationalen Fragen verstehe ich mehr als ihr!“

Trotzki gab neuerlich seiner Überzeugung Ausdruck, daß der Zusammenbruch des Stalin-Staates unvermeidlich sei. Der Faschismus werde eine Weiterentwicklung der Sowjetmacht nicht zulassen.

Die russischen Trotzkisten seien vor die Wahl gestellt, in den „Trümmern des Stalin-Staates unterzugehen“ oder sofort in einer großen Anstrengung alle Kräfte zum Sturz des Stalin-Regimes zu sammeln. In diesem Entscheidungskampf müsse die Führung und Hilfe der deutschen und japanischen Heeresleitung ohne Bedenken angenommen werden.

Eine militärische Auseinandersetzung zwischen der Sowjetunion und den faschistischen Mächten sei unvermeidlich, fügte Trotzki hinzu. Und dieser Zusammenstoß werde nicht in ferner Zukunft erfolgen, sondern bald - sehr bald. Der Zeitpunkt des Kriegsbeginns ist bereits „festgelegt“, sagte Trotzki, „und zwar für das Jahr 1937“.

Pjatakow wußte sehr wohl, daß diese Behauptung nicht aus der Luft gegriffen war. Nun berichtete ihm Trotzki über seine langwierigen Verhandlungen mit Heß, dem Stellvertreter des nationalsozialistischen Parteiführers, als deren Ergebnis eine Vereinbarung, „eine absolut bindende Vereinbarung“, zwischen ihm und der Regierung des Dritten Reiches zustande gekommen war. Die Nazis hatten sich bereit erklärt, den Trotzkisten in Sowjetrußland zur Macht zu verhelfen.

„Diese freundliche Haltung“, sagte Trotzki, „ist selbstverständlich nicht als Beweis besonderer Sympathien für die Trotzkisten anzusehen. Sie entspricht ganz einfach den wahren Interessen der Faschisten und ist durch die von uns gemachten Versprechungen bedingt.“

Der Vertrag, den Trotzki mit den Nazis abgeschlossen hatte, enthielt fünf Klauseln. Als Entgelt für die Hilfe, die Deutschland den Trotzkisten in ihrem Kampf um die Macht in Rußland leisten sollte, verpflichtete sich Trotzki:

  1. der deutschen Regierung gegenüber eine prinzipiell freundliche Haltung einzunehmen und in allen wichtigen internationalen Fragen mit Deutschland zusammenzuarbeiten;

  2. territoriale Zugeständnisse zu machen (die Ukraine);

  3. den deutschen Industriellen durch Konzessionen (oder auf irgendeine andere Weise) den Betrieb von Unternehmungen in der UdSSR zu ermöglichen, die als notwendige Ergänzung der deutschen Wirtschaft anzusehen wären (Eisenerz, Mangan, Petroleum, Gold, Holz usw.);

  4. in der UdSSR günstige Arbeitsbedingungen für die deutschen Privatunternehmer zu schaffen;

  5. im Kriegsfall in Betrieben der Kriegsindustrie und an der Front eine intensive Sabotagetätigkeit zu veranlassen, die in Übereinstimmung mit den vom deutschen Generalstab und Trotzki gemeinsam ausgearbeiteten Richtlinien ausgeführt werden sollte.

Pjatakow meinte, es würde schwierig sein, den durchschnittlichen Mitgliedern des Blocks der Rechten und Trotzkisten die Notwendigkeit eines so weitgehenden Abkommens mit den Nazis zu erklären.

„Es ist überflüssig, den einzelnen Anhängern des Blocks programmatische Fragen mit all ihren Weiterungen vorzutragen“, erwiderte Trotzki ungeduldig. „Es würde sie nur beunruhigen.“ Die Organisation als Gesamtheit brauche von den Einzelheiten der mit den faschistischen Mächten erzielten Vereinbarung nichts zu erfahren. „Es ist weder möglich noch ratsam, dieses Abkommen zu verbreiten oder auch nur einer größeren Anzahl von Trotzkisten bekanntzugeben“, sagte Trotzki. „Im Augenblick darf nur eine ganz kleine Gruppe ausgewählter Leute darüber unterrichtet werden.“

Trotzki wurde nicht müde, die Bedeutung des Zeitfaktors zu unterstreichen.

„Die Dinge werden sich in verhältnismäßig kurzer Zeit entwickeln“, sagte er mit Nachdruck. „Wenn wir diese Gelegenheit versäumen, droht eine doppelte Gefahr: erstens, daß es zur vollständigen Liquidierung des Trotzkismus in unserem Lande kommt; zweitens, daß der Staat Stalins jahrzehntelang fortbesteht, und zwar auf Grund gewisser wirtschaftlicher Errungenschaften und mit Hilfe einer neuen, jungen Gefolgschaft, die in diesem Staate aufgewachsen ist und dazu erzogen wurde, diesen Staat als etwas Gegebenes, als Verwirklichung des sozialistischen Sowjetstaates hinzunehmen. Unsere Aufgabe besteht darin, diesen Staat zu bekämpfen.“

Nach zwei Stunden verließ Pjatakow das Häuschen in dem Vorort von Oslo und kehrte nach Berlin zurück - ebenso, wie er gekommen war: in einem Privatflugzeug, mit einem Nazipaß in der Tasche.

4. Die Stunde der Entscheidung

Der zweite Weltkrieg, dessen Übergreifen auf Sowjetrußland Trotzki für das Jahr 1937 vorausgesagt hatte, war nach Europa gelangt. Seit Mussolinis Invasion in Abessinien hatten die Ereignisse einen raschen Verlauf genommen. Im Mai 1936 besetzte Hitler das Rheinland. Der Monat Juli brachte den Aufstand der faschistischen Offiziere gegen die republikanische Regierung Spaniens. Unter dem Vorwand der „Bekämpfung des Bolschewismus“ und der Unterdrückung einer drohenden „kommunistischen Revolution“ transportierten die Deutschen und Italiener Truppen zur Verstärkung der aufrührerischen Offiziere nach Spanien. Der spanische Faschistenführer Generalissimo Francisco Franco zog gegen Madrid. „Vier Kolonnen marschieren auf Madrid!“ prahlte der faschistische General Quiepo de Liano im Rausch. „Innerhalb der Stadt wartet eine fünfte Kolonne darauf, uns zu begrüßen!“ Damals hörte die Welt zum erstenmal den bedeutungsschweren Ausdruck „Fünfte Kolonne“[65]

Auf dem Nürnberger Parteitag vom 12. September 1936 verkündete Hitler Tausenden von Nationalsozialisten seine Absicht, in die Sowjetunion einzufallen:

„Wir sind jederzeit bereit!“ schrie Hitler. „Ich kann keine ruinierten Staaten an meiner Türschwelle dulden! … Wenn ich den Ural mit seinen unermeßlichen Schätzen an Rohstoffen, Sibirien mit seinen riesigen Wäldern, die Ukraine mit ihren endlosen Weizenfeldern zur Verfügung hätte, würde das von den Nationalsozialisten geführte Deutschland im Überfluß schwimmen!“

Am 25. November 1936 wurde der Antikomintern-Pakt in Berlin von Außenminister Ribbentrop und dem japanischen Botschafter in Deutschland unterzeichnet. Die beiden Staaten verpflichteten sich, ihre Kräfte im Kampf gegen den „Weltbolschewismus“ zu vereinen.

Da die Sowjetregierung die wachsende Kriegsgefahr erkannte, eröffnete sie eine Überraschungsoffensive gegen den Feind im eigenen Lande. Durch eine Reihe unerwarteter Razzien, die im Frühjahr und Sommer 1936 in allen Teilen Rußlands vorgenommen wurden, konnten die Sowjetbehörden eine ganze Anzahl von Nazispionen, Organisatoren der Rechten und Trotzkisten, Terroristen und Saboteuren unschädlich machen. In Sibirien wurde ein Naziagent namens Emil Stickling verhaftet und überführt, die Sabotagetätigkeit im Kemerowo-Bergwerk gemeinsam mit Alexei Schestow und anderen Trotzkisten geleitet zu haben. In Leningrad wurde ein weiterer Naziagent, Valentin Olberg, festgenommen. Er stand mit Fritz David, Nathan Lurie, Konon Berman-Jurin und anderen Terroristen in Verbindung. So kam man allmählich sämtlichen Führern der ersten „Schicht“ des Verschwörerapparates auf die Spur.

Eine in Geheimschrift abgefaßte Botschaft, die Iwan Smirnow aus dem Gefängnis zu schmuggeln versuchte, wurde von den sowjetischen Behörden aufgefangen. Die unmittelbare Folge war die Verhaftung der trotzkistischen Terroristen Ephraim Dreitzer und Sergei Mratschkowski.

Die russischen Verschwörer wurden von panischer Angst ergriffen. Jetzt konnte nur noch ein Angriff von außen Hilfe bringen.

Jagoda wurde in seinen Bemühungen, die amtlichen Untersuchungen zu unterbinden, immer skrupelloser.

Einer von Jagodas Leuten, der NKWD-Agent Borissow, wurde plötzlich zum Verhör vor die Untersuchungskommission im Smolny-Institut geladen. Borissow hatte bei den Vorbereitungen zu Kirows Ermordung eine wichtige Rolle gespielt. Jagoda beging einen Verzweiflungsakt: Borissow hatte auf der Fahrt zum Smolny-Institut einen tödlichen „Autounfall“.

Aber mit der Beseitigung eines einzigen Zeugen war es nicht getan. Die amtliche Untersuchung nahm ihren Fortgang. Täglich wurden neue Verhaftungen gemeldet. Stück für Stück setzten die Sowjetbehörden das komplizierte Räderwerk des auf Verrat und Mord aufgebauten Verschwörerapparates zusammen. Im August waren fast sämtliche führenden Mitglieder des terroristischen trotzkistisch-sinowjewistischen Zentrums in Haft. Die Sowjetregierung gab bekannt, daß die im Zusammenhang mit Kirows Ermordung eingeleiteten neuerlichen Untersuchungen sensationelles Beweismaterial zutage gefördert hatten. Kamenew und Sinowjew sollten zum zweitenmal vor Gericht erscheinen.

Der Prozeß begann am 19. August 1936 in der Oktober-Halle des Moskauer Gewerkschaftshauses vor dem Militärkollegium des Obersten Gerichtshofes der UdSSR. Sinowjew und Kamenew wurden aus dem Gefängnis vorgeführt, wo sie für frühere Delikte büßten. Gleichzeitig mit ihnen hatten sich vierzehn ihrer ehemaligen Verbündeten wegen Landesverrates zu verantworten. Unter den übrigen Angeklagten befanden sich die ehemaligen Kommandanten der trotzkistischen Leibgarde Iwan Smirnow, Sergei Mratschkowski und Ephraim Dreitzer; Sinowjews Sekretär Grigori Jewdokimow, sein Assistent Iwan Bakajew und die fünf trotzkistischen Spezialemissäre und Terroristen, Fritz David, Nathan Lurie, Moische Lurie, Konon Berman-Jurin und Valentin Olberg.

Der Prozeß - der erste der sogenannten „Moskauer Prozesse“ - führte zur Aufdeckung und Erledigung des terroristischen Zentrums, der ersten Schicht des Verschwörerapparates. Gleichzeitig wurde erwiesen, daß das Komplott gegen die Sowjetregierung weit über die Grenzen dieses Prozesses hinausging und von viel bedeutenderen Kräften als den angeklagten Terroristen getragen wurde.

Durch die Prozeßverhandlungen erfuhr die Öffentlichkeit zum erstenmal von den engen Beziehungen Leo Trotzkis zu den Führern des nationalsozialistischen Deutsehlands. Der deutsche Trotzkist Valentin Olberg war von Trotzki selbst in die Sowjetunion entsandt worden; seine Vernehmung durch den sowjetischen Staatsanwalt A. J. Wyschinski brachte verschiedene überraschende Momente ans Licht:

Wyschinski: „Was wissen Sie von Friedmann?“

Olberg: „Friedmann gehörte der Berliner trotzkistischen Organisation an. Auch er wurde in die Sowjetunion geschickt.“

Wyschinski: „Ist Ihnen bekannt, daß Friedmann mit der deutschen Geheimpolizei in Verbindung stand?“

Olberg: „Ich hatte davon gehört.“

Wyschinski: „Handelte es sich um eine ständige Verbindung zwischen den deutschen Trotzkisten und der deutschen Polizei?“

Olberg: „Ja, es war eine ständige Verbindung, die von Trotzki gebilligt wurde.“

Wyschinski: „Woher wissen Sie, daß es mit Trotzkis Wissen und Einverständnis geschah?“

Olberg: „Eine dieser Verbindungslinien war ich selbst. Meine Verbindung wurde mit Genehmigung Trotzkis organisiert.“

Wyschinski: „Ihre persönliche Verbindung mit wem?“

Olberg: Mit der faschistischen Geheimpolizei.“

Wyschinski: „Sie geben also Ihre Verbindung mit der Gestapo zu?“

Olberg: „Ich bestreite es nicht. 1933 begann die organisierte, systematische Zusammenarbeit der deutschen Trotzkisten mit der deutschen faschistischen Polizei.“

Olberg schilderte dem Gerichtshof, wie er in den Besitz des gefälschten südamerikanischen Passes gelangt war, der ihm die Einreise nach Sowjetrußland ermöglicht hatte. Er behauptete, ihn von „Tukalewski“, einem Prager Agenten der deutschen Geheimpolizei erhalten zu haben. Er fügte hinzu, daß sein Bruder Paul Olberg ihm bei der Besorgung dieses Passes behilflich gewesen war.

„Unterhielt Ihr Bruder irgendwelche Beziehungen zur Gestapo?“ fragte Wyschinski.

„Er war Tukalewskis Agent.“

„Ein Agent der faschistischen Polizei?“

Olberg bejahte.

Trotzkis Emissär Nathan Lurie sagte aus, daß er vor seiner Abreise aus Deutschland die Instruktion erhalten hatte, in der Sowjetunion mit dem deutschen Ingenieur und Architekten Franz Weitz zusammenzuarbeiten.

„Wer ist Franz Weitz?“ fragte Wyschinski.

„Franz Weitz war Mitglied der Nationalsozialistischen Partei“, sagte Lurie. „Seine Abreise nach Rußland wurde durch Himmler, den damaligen Führer der SS und späteren Chef der Gestapo veranlaßt.“

„War Franz Weitz Himmlers Agent?“

„Franz Weitz ging nach der UdSSR, um in Himmlers Auftrag Sabotageakte durchzuführen.“

Aber erst als Kamenew zur Aussage kam, erkannten die Führer des Blocks der Rechten und Trotzkisten die ganze Gefährlichkeit ihrer Lage. Kamenew verriet, daß der Verschwörerapparat noch zwei weitere „Schichten“ hatte.

„Da wir wußten, daß es eines Tages zu einer Entdeckung kommen könnte, beauftragten wir für einen solchen Fall eine kleine Gruppe mit der Fortführung unserer terroristischen Tätigkeit.

Unsere Wahl fiel auf Sokolnikow. Auf trotzkistischer Seite schienen uns Serebrjakow und Radek für die erfolgreiche Durchführung dieser Aufgabe besonders geeignet… 1932, 1933 und 1934 hielt ich selbst die Verbindung mit Bucharin und Tomski aufrecht. Ich versuchte, mir über ihre politische Einstellung Klarheit zu verschaffen. Sie sympathisierten mit uns. Als ich Tomski über Rykows Gesinnung befragte, antwortete er: ‚Rykow denkt ebenso wie Sie.’ Ich erkundigte mich nach Bucharin. Er sagte: ‚Bucharin denkt ebenso wie ich, aber er verfolgt eine andere Taktik; er stimmt mit der Parteilinie nicht überein, aber er bemüht sich beharrlich, seine Stellung in der Partei zu festigen und das persönliche Vertrauen der Parteiführer zu gewinnen.’„

Ein Teil der Angeklagten bat um Gnade. Andere hatten sich offenbar mit ihrem Schicksal abgefunden. „Früher einmal gab es zwischen uns Unterschiede der Entwicklung, der politischen Bedeutung“, sagte Ephraim Dreitzer, einer der ehemaligen Kommandanten der Trotzki-Garde. „Aber hier, vor Gericht, sind wir als Mörder alle gleich. Ich zumindest gehöre zu denen, die kein Recht haben, Milde zu erwarten oder zu fordern.“

Fritz David schloß seine Aussage mit dem Ausruf: „Ich verfluche Trotzki! Ich verfluche den Mann, der mein Leben ruiniert und mich zu widerlichen Verbrechen verführt hat!“

Am Abend des 23. August verkündete das Militärkollegium des Obersten Gerichtshofes der UdSSR das Urteil. Sinowjew, Kamenew, Smirnow und die dreizehn anderen Mitglieder des terroristischen trotzkistisch-sinowjewistischen Blocks wurden wegen terroristischer und verräterischer Umtriebe zum Tode durch Erschießen verurteilt.

Eine Woche später wurden Pjatakow, Radek, Sokolnikow und Serebrjakow verhaftet. Am 27. September mußte Jagoda seinen Posten als Vorsitzender der NKWD niederlegen.

Es ging um Leben und Tod. Die Führer der Rechten, Bucharin, Rykow und Tomski, rechneten täglich mit ihrer Verhaftung. Sie verlangten eine sofortige Aktion, da es zu spät geworden war, den Ausbruch eines Krieges abzuwarten. Der Gewerkschaftsleiter Tomski schlug in seiner Angst einen unverzüglichen bewaffneten Angriff auf den Kreml vor, der als zu gewagt abgelehnt wurde. Die Kräfte der Opposition schienen für ein solches offenes Vorgehen noch nicht stark genug.

In einer letzten Zusammenkunft der Hauptführer des Blocks der Rechten und Trotzkisten, die kurz vor Pjatakowa und Radeks Verhaftung stattfand, wurde beschlossen, einen bewaffneten Staatsstreich vorzubereiten. Die Organisierung dieses Putsches und die Leitung des gesamten Verschwörerapparates wurde Nikolai Krestinski, dem Stellvertretenden Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten, anvertraut. Krestinski hatte sich nicht im gleichen Maße wie die anderen exponiert, er war unverdächtig; außerdem unterhielt er enge Beziehungen zu Trotzki und den Deutschen. So war er in der Lage, sogar nach der Verhaftung Bucharins, Rykows und Tomskis weiterzuarbeiten.

Krestinski ernannte Arkadi Rosengolz zu seinem Bevollmächtigten und Stellvertreter. Rosengols war kurz zuvor aus Berlin zurückgekehrt, wo er viele Jahre hindurch die sowjetische Handelsvertretung geleitet hatte. Auch sonst war er bereits in einflußreichen Stellen der Sowjetverwaltung tätig gewesen. Er hatte es verstanden, seine Zugehörigkeit zur trotzkislischen Bewegung streng geheimzuhalten. Nur Trotzki und Krestinski kannten die Rolle, die er seit 1923 als Trotzkist und bezahlter Agent der deutschen Militärspionage spielte.[66]

Von dieser Zeit an lag die Leitung des Blocks der Rechten und Trotzkisten in den Händen zweier Trotzkisten, die gleichzeitig deutsche Agenten waren: Krestinski und Rosengolz. Nach langwierigen Besprechungen gelangten sie zu dem Ergebnis, daß für die Fünfte Kolonne in Rußland der Augenblick gekommen sei, die letzte Karte auszuspielen.Die letzte Karte war der Militärputsch. Als Führer des bewaffneten Aufstandes wurde der Stellvertretende Volkskommissar für Landesverteidigung, Marschall Tuchatschewski, ausersehen.


ANMERKUNGEN

  1. Trotzki gab seinen Anhängern in Rußland den Auftrag, die Bemühungen der Sowjetregierung um die Förderung der kollektiven Sicherheit nach Möglichkeit zu vereiteln. Zu Beginn des Jahres 1935 schrieb Trotzki einen Brief an seinen damals in Moskau weilenden Anhänger, den japanischen Agenten und ehemaligen sowjetischen Botschafter in London und Paris, Christian Rakowski, in dem er die Notwendigkeit der „internationalen Isolierung der Sowjetunion“ hervorhob. Die russischen Verschwörer, schrieb Trotzki, müßten bei ihren Verhandlungen mit dem Ausland die verschiedenen politischen Elemente in Rechnung ziehen. „Die linken Elemente des Auslands“ könne man „bei ihren pazifistischen Gefühlen packen“. Bei den „rechten Elementen des Auslands“ liege die Sache einfacher: „Die Gefühle, die sie der Sowjetunion entgegenbringen, sind klar und eindeutige erklärte Trotzki. „Mit ihnen können wir offen reden.“

    Im Mai 1935 kam eine französische Delegation nach Moskau, um über den französisch-sowjetischen Pakt zu verhandeln. Emil Bure, der Herausgeber der einflußreichen rechtsstehenden Pariser Zeitung „L’Ordre“, mit dem Rakowski von seinem Pariser Aufenthalt her gut bekannt war, hatte sich der Mission angeschlossen. Rakowski besuchte Bure im Hotel Metropol.

    Er erklärte Bure, daß der französisch-sowjetische Pakt große Gefahren in sich berge und Deutschland leicht zu einem Präventivkrieg veranlassen könnte. Er fügte hinzu, daß das nicht nur seine persönliche Meinung, sondern auch die Ansicht einer großen Zahl hochgestellter Diplomaten und Funktionäre der Sowjetunion sei.

    Bure teilte Rakowski zu dessen größtem Leidwesen mit, daß er jeden Versuch, Nazideutschland zu beschwichtigen, energisch ablehne. „Frankreich“, sagte Bure, „kann der zunehmenden Militarisierung Deutschlands nicht isoliert gegenüberstehen. Der Angreifer muß in eine Zwangsjacke gesteckt werden; das ist die einzige Möglichkeit, den Krieg zu verhindern.“

    Aber die französische Außenpolitik wurde unglücklicherweise nicht von Männern wie Bure gelenkt. An der Spitze der nach Moskau entsandten französischen Mission stand Pierre Laval.

  2. Im Juni 1935 wurde Trotzki von der Volksfrontregierung aus Frankreich ausgewiesen. Er ging nach Norwegen und schlug in einem entlegenen, wohlbewachten Haus in der Umgebung von Oslo das dritte Hauptquartier seines Exils auf. Die norwegische Arbeiterpartei die sich von der Komintern abgespalten hatte und damals im politischen Leben Norwegens eine wichtige Rolle spielte, erleichterte ihm die Einreise. Trotzkis Anhänger in Norwegen betrieben eine intensive sowjetfeindliche Propaganda. Eine ebenso erbitterte Agitation gegen die Sowjetunion gehörte zum Programm der auf dem äußersten rechten Flügel des norwegischen politischen Lebens stehenden antikommunistischen „Nasjonal Sämlings“ (Nationale Einheitspartei), deren Führer der ehemalige Kriegsminister Major Vidkun Quisling war.

    Major Quisling war früher einmal norwegischer Militärattache in Leningrad gewesen. 1922/23 wurde er in „diplomatischer“ Mission in die Ukraine und nach der Krim geschickt. Er heiratete eine russische Emigrantin. Als die englische Regierung 1927 die Beziehungen zu Sowjetrußland abbrach, übernahm Major Quisling, der damals norwegischer Legationssekretär in Moskau war, die Vertretung der britischen Interessen in Rußland. In Anerkennung der dem Britischen Reich in dieser Zeit erwiesenen Dienste wurde Quisling später zum „Honorary Commander“ ernannt.

    1930 verweigerte die Sowjetregierung Quisling die Erlaubnis, nach Sowjetrußland zurückzukehren, mit der Begründung, daß er sich auf sowjetischem Boden an umstürzlerischen Umtrieben beteiligt habe.

    Nachdem seine „diplomatische“ Tätigkeit in Sowjetrußland auf diese Weise ein Ende gefunden hatte, begann er, in Norwegen eine pseudoradikale Gruppe zu organisieren, die sich bald offen zum Faschismus bekannte. Nach kurzer Zeit trat Quisling als Geheimagent in den Dienst der deutschen Militärspionage; er wurde der Leiter der norwegischen Fünften Kolonne, zu deren wichtigsten Stützen die Trotzkisten gehörten.

  3. „Stirner“ war eines der vielen Pseudonyme, die sich Trotzkis „Sekretär“, der internationale Spion Karl Reich, alias Johanson. beilegte.

  4. In den Jahren 1936 bis 1938, als Franco in Spanien seinen von der Achse unterstützten Kampf führte, stand Andreas Nin an der Spitze einer extrem links gerichteten, trotzkistenfreundlichen spanischen Organisation, die den Namen „Partido Obrero de Unificacion Marxista“ oder POUM führte. Offiziell war die POUM der Vierten Internationale Trotzkis nicht angeschlossen. Aber ihre Reihen waren mit Trotzkisten durchsetzt; und in allen wichtigen Fragen, wie zum Beispiel der Stellungnahme gegenüber der Sowjetunion und der Volksfront, hielt sich die POUM streng an die von Trotzki befolgte Politik.

    Zur Zeit des Franco-Putsches war Trotzkis Freund Nin Justizminister von Katalonien. Obwohl er sich in allen seinen Äußerungen zur Sache des Antifaschismus bekannte, betrieb er während der Dauer der Kämpfe eine unermüdliche Propaganda und Agitation gegen die republikanische Regierung Spaniens. Da die Mitglieder der POUM „revolutionäre“ Erklärungen für ihre Haltung vorbrachten, glaubte man anfangs an einen rein „politischen“ Charakter dieser Opposition. Aber als die POUM im kritischen Sommer des Jahres 1937 in Barcelona hinter den Linien der Regierungstreuen eine mißglückte Revolte veranstaltete und „energische Maßnahmen zur Beseitigung der Regierung“ forderte, wurde es klar, daß Nin und die anderen Führer der POUM in Wirklichkeit faschistische Agenten waren, die im Einvernehmen mit Franco eine systematische Sabotage-, Spionage- und Terrorkampagne gegen die spanische Regierung in die Wege geleitet hatten.

    Am 23. Oktober 1937 veröffentlichte der Chef der Polizei von Barcelona, Oberstleutnant Burillo, Einzelheiten über die in Katalonien aufgedeckte Verschwörung der POUM. Aus Geheimdokumenten, die in den Besitz der Polizei gelangt waren, ging hervor, daß Mitglieder der POUM eine ausgedehnte Spionagetätigkeit für die Faschisten betrieben hatten; sie störten die Versorgung der republikanischen Armee und sabotierten militärische Operationen an der Front. „Attentate gegen führende Persönlichkeiten der Volksarmee waren in Vorbereitung“, hieß es in Oberstleutnant Burillos Bericht.

  5. Rosengolz hatte während des Interventionskrieges der Führung der Roten Armee angehört. Nach Beendigung des Krieges wurde er der sowjetischen Botschaft in Berlin als Vertreter in Handelsangelegenheiten zugeteilt. 1923 stellte Trotzki die Verbindung zwischen Rosengolz und dem deutschen militärischen Geheimdienst her. Rosengolz lieferte den Deutschen Geheiminformationen über die sowjetische Luftwaffe, zu denen Trotzki damals als Kriegskommissar Zugang hatte. Das Geld, das die Deutschen für diese Informationen bezahlten, diente der Finanzierung der illegalen trotzkistischen Arbeit. Rosengolz bekannte sich niemals offen zur trotzkistischen Opposition. 1934 brachte ihm Bessonow einen Brief, in dem Trotzki erklärte, man müsse jetzt von der vorsichtigen Handlungsweise zur „aktiven Sabotagearbeit auf dem Gebiet des Außenhandels“ übergehen. Rosengolz war Kommissar für Außenhandel in der Berliner sowjetischen Handelsvertretung. Es gelang ihm, den Außenhandel der Sowjetunion für kurze Zeit in einer den Deutschen und später den Japanern nutzbringenden Weise zu beeinflussen. Anfang 1936 wurde er nach Moskau zurückgerufen.

Kapitel XVIII. <--      --> Kapitel XX.

(zurück zum Inhaltsverzeichnis)