Im Spätherbst des Jahres 1928 kam an einem Nachmittag eine Anzahl schwerreicher russischer Emigranten in einem Restaurant am Pariser Grand Boulevard zusammen. Mit größter Vorsicht begaben sie sich in einen abgesonderten Privatraum: die Öffentlichkeit durfte unter keinen Umständen von dieser Unterredung erfahren. Die Leiter der Torgprom, des internationalen Kartells ehemaliger Millionäre des Zarenreiches, hatten die Konferenz einberufen. Die Namen der Anwesenden waren im alten Rußland nur mit scheuer Ehrfurcht genannt worden: G. N. Nobel, N. K. Denisow, Wladimir Riabuschinski und andere ebenso berühmte Persönlichkeiten.
Diese Emigrantenmillionäre hatten sich versammelt, um in größter Heimlichkeit mit zwei prominenten Gästen aus der Sowjetunion zu verhandeln.
Der eine war Professor Leonid Ramsin, ein hervorragender russischer Gelehrter, Direktor des Moskauer Instituts für Wärmetechnik und Mitglied des Obersten Rates der Volkswirtschaft. Der zweite, Viktor Laritschew, war Vorsitzender der Brennstoffabteilung der Staatlichen Plankommission der UdSSR.
Professor Ramsin und Viktor Laritschew sollten in Paris bestimmte Angelegenheiten in staatlichem Auftrag erledigen. In Wirklichkeit benutzten sie ihre Reise nach der französischen Hauptstadt, um den Vertretern der Torgprom über die Tätigkeit einer von ihnen geleiteten geheimen Spionage- und Sabotageorganisation in der Sowjetunion Bericht zu erstatten.
Diese Organisation wurde die Industrie-Partei genannt. Ihr gehörten in erster Linie Mitglieder der altrussischen technischen Elite an, die unter dem zaristischen Regime die Vorrechte einer bevorzugten Kaste genossen hatte. Die Industrie-Partei umfaßte angeblich fast zweitausend Geheimmitglieder; die meisten bekleideten leitende technische Stellungen. Diese von der Torgprom finanzierte und geleitete Partei versuchte die Sowjetindustrie durch Sabotageakte und Werkspionage zu schädigen.
Professor Ramsin ergriff als erster das Wort. Er berichtete seinen Zuhörern, daß alles menschenmögliche geschehe, um die Durchführung des soeben von Stalin bekanntgegebenen Fünfjahresplanes zu stören, der einen kühnen ehrgeizigen Versuch darstelle, das sowjetische Sechstel der Erde in einer gewaltigen Anstrengung zu industrialisieren. Die in sämtlichen Zweigen der Sowjetindustrie beschäftigten Mitglieder der Industrie-Partei seien ständig darauf bedacht, ein sorgfältig ausgebautes, wissenschaftlich fundiertes Sabotagesystem in Anwendung zu bringen.
„Eine unserer Methoden“, erklärte der Professor, „ist die der minimalen Standardisierung: wir halten die wirtschaftliche Entwicklung des Landes nach Möglichkeit auf und verzögern das Tempo der Industrialisierung. Eine zweite Methode besteht darin, ein Mißverhältnis zwischen den einzelnen Zweigen der Volkswirtschaft sowie zwischen den verschiedenen Abteilungen ein und desselben Zweiges hervorzurufen. Und schließlich gibt es die Methode der Kapitalbindung: das vorhandene Kapital wird in völlig überflüssige Unternehmungen investiert oder in Arbeiten, die im Augenblick nicht wesentlich sind und ebensogut hinausgeschoben werden könnten.“
Professor Ramsin äußerte seine besondere Befriedigung über die mit Hilfe der letzten Methode erzielten Resultate. „Durch diese Methode ist der Fortschritt der Industrialisierung wesentlich beeinträchtigt worden“, sagte er. „Das allgemeine Niveau des Wirtschaftslebens ist infolgedessen gesunken, was die Unzufriedenheit breiter Bevölkerungsschichten hervorgerufen hat.“
Andererseits mußte Professor Ramsin einige weniger erfreuliche Tatsachen erwähnen. Vor kurzem hatte die GPU eine Gruppe, die in den Schachty-Bergwerken arbeitete, verhaften lassen. Einige Mitglieder, die im Transportwesen und in der Petroleumindustrie beschäftigt waren, wurden ebenfalls festgenommen. Überhaupt gestaltete sich die Tätigkeit der Industrie-Partei weitaus schwieriger, seit durch die Verbannung Trotzkis und die Aufdeckung der trotzkistischen Oppositionsbewegung eine wesentliche Beruhigung des innerpolitischen Lebens eingetreten war.
„Wir brauchen aktivere Unterstützung von Ihrer Seite“, schloß Professor Ramsin. „Aber vor allem brauchen wir eine bewaffnete Intervention; nur so kann der Bolschewismus erledigt werden.“
N. K. Denisow, der Vorsitzende der Torgprom, erhob sich. Der kleine Kreis lauschte seinen Worten mit respektvoller, angespannter Aufmerksamkeit.
„Wie Sie wissen“, begann Denisow, „haben wir mit Herrn Poincaré und Herrn Briand verhandelt. Bei Herrn Poincaré haben wir schon vor einiger Zeit vollstes Verständnis für die Idee einer bewaffneten Intervention gegen die UdSSR gefunden. Sie werden sich erinnern, daß er bei einer der letzten Unterredungen bemerkte, die Angelegenheit sei bereits dem französischen Generalstab zur Weiterbearbeitung übergeben worden. Ich freue mich, Sie heute über eine weitere, außerordentlich wichtige Entscheidung unterrichten zu können.“
Denisow machte eine wirkungsvolle Pause, die Zuhörer warteten mit angehaltenem Atem.
„Ich teile Ihnen mit, daß der französische Generalstab eine Sonderkommission unter Leitung von Oberst Joinville eingesetzt hat, deren Aufgabe es ist, den Angriff auf die Sowjetunion vorzubereiten!“[39] Der Raum war plötzlich von lautem Stimmengewirr erfüllt. Alle sprachen durcheinander. Es dauerte mehrere Minuten, bis Denisow seinen Bericht über die Tätigkeit der Torgprom wieder aufnehmen konnte…
Der Beginn des Angriffs auf die Sowjetunion war für den Ausgang des Sommers 1929 oder spätestens für den Sommer des Jahres 1930 festgesetzt.
Das Menschenmaterial sollte in erster Linie von Polen, Rumänien und Finnland geliefert werden. Der französische Generalstab hatte sich bereit erklärt, Instruktoren und möglicherweise auch die französische Luftflotte zur Verfügung zu stellen. Deutschland versprach Techniker und Freiwilligenregimenter. Die Engländer wollten ihre Flotte leihen. Der Angriffsplan war in Anlehnung an den Hoffmann-Plan entworfen worden.
Rumänien sollte nach einem provozierten Grenzzwischenfall in Bessarabien die Feindseligkeiten eröffnen. Dann kam die Reihe an Polen und die baltischen Staaten. Wrangels angeblich 100000 Mann starke Weiße Armee hatte nach einem Marsch durch Rumänien die Verbindung mit der südlichen Interventionsarmee herzustellen. Die britische Flotte sollte die Operationen im Schwarzen Meer und im Finnischen Meerbusen unterstützen. Ferner war die Landung einer Abteilung von Krassnows Kosaken, die seit 1921 am Balkan stationiert waren, an der Schwarzmeerküste in der Gegend von Noworossijsk vorgesehen; sie sollten zum Don vorstoßen, die Donkosaken zu Aufständen aufwiegeln und in die Ukraine einfallen. Dieses Manöver zielte darauf ab, Moskau von den Kohlenfeldern des Donezbeckens abzuschneiden und auf diese Weise die Versorgung der Sowjets mit Metallen und Brennstoffen zu gefährden. Es war geplant, Moskau und Leningrad gleichzeitig anzugreifen, während die Südarmee sich mit der Flanke auf dem rechten Dnjeprufer durch die Westukraine vorwärts bewegte.
Sämtliche Angriffshandlungen sollten mit verwirrender Plötzlichkeit und ohne Kriegserklärung erfolgen. Man erwartete, daß die Rote Armee sich unter diesem Druck in kürzester Zeit auflösen würde; der Zusammenbruch des Sowjetregimes konnte dann nur noch eine Sache von Tagen sein.
Auf der von der Torgprom einberufenen Konferenz richtete Oberst Joinville als Bevollmächtigter des französischen Generalstabes an Professor Ramsin die Frage, ob die Möglichkeit bestehe, den Angriff von außen durch ein gleichzeitiges militärisches Eingreifen der Opposition innerhalb der Sowjetunion aktiv zu unterstützen. Ramsin erwiderte, daß die oppositionellen Elemente seit der Verbannung Leo Trotzkis auf Untergrundarbeit beschränkt und zersplittert, aber immer noch zahlreich genug seien, um ins Gewicht zu fallen.
Oberst Joinville empfahl der Industrie-Partei und ihren Verbündeten die Errichtung einer „Militärischen Abteilung“. Er nannte Ramsin die Namen einiger französischer Geheimagenten in Moskau, die bei der Schaffung einer derartigen Organisation von Nutzen sein konnten…
Von Paris reiste Professor Ramsin nach London, nach außen hin immer noch als Beauftragter des Sowjetstaates, in Wirklichkeit, um mit Vertretern der Royal Dutch Shell Sir Henri Deterdings und des riesigen britischen Munitionskonzerns Metro-Vickers zusammenzutreffen, an dessen Spitze die düstere Figur des im Wirtschaftsleben des zaristischen Rußland einst sehr einflußreichen Sir Basil Zaharoff stand. Man erklärte dem russischen Professor, daß die interessierten englischen Kreise bereit seien, das ihre zum Gelingen des Interventionsplanes beizutragen, obwohl Frankreich die führende Rolle in dieser Sache übernommen habe. Man werde Geld zur Verfügung stellen, man werde auch weiterhin durch diplomatische Druckmittel für die Isolierung Sowjetrußlands Sorge tragen und, wenn die Zeit zum Angriff gekommen sei, die Beteiligung der britischen Marine an den Kampfhandlungen durchsetzen…
Nach seiner Rückkehr erstattete Professor Ramsin seinen Mitverschworenen über die Ergebnisse seiner Auslandsreise Bericht. Man einigte sich dahin, daß die Industrie-Partei jetzt zwei Hauptaufgaben zu erfüllen habe: in der Industrie und Landwirtschaft eine möglichst kritische Situation hervorzurufen, um auf diese Weise die Unzufriedenheit der Massen zu erregen und die Sowjetregierung zu schwächen, und einen Apparat zu schaffen, der die angreifenden Armeen durch Sabotageakte und Terrorismus hinter den sowjetischen Linien direkt zu unterstützen vermochte.
Die Torgprom ließ durch französische Agenten in Moskau Geldmittel für die Förderung der Sabotagetätigkeit in den verschiedenen Industriezweigen verteilen. Die Metallindustrie erhielt 500000 Rubel; die Brennstoff-, Petroleum- und Torfindustrie 300000; die Textilindustrie 200000; die Elektroindustrie 100000. In bestimmten Zeitabständen lieferten die Mitglieder der Industrie-Partei und ihre Verbündeten den französischen, englischen oder deutschen Spionageagenten Sonderberichte über die sowjetische Flugzeugproduktion, die Anlage von Flugfeldern, die Entwicklung der chemischen Industrie und der Munitionserzeugung und den Zustand der Eisenbahnen.
Die zaristischen Emigrantenmillionäre sahen dem Zeitpunkt der Invasion mit ständig wachsendem Optimismus entgegen. Einer der Torgprom-Leiter, Wladimir Riabuschinski, veröffentlichte am 7. Juli 1930 in der Pariser Emigrantenzeitung „Wosroshdenje“ einen bemerkenswerten Artikel mit der Überschrift „Ein notwendiger Krieg“:
„Der bevorstehende Kampf gegen die Dritte Internationale, der die Befreiung Rußlands herbeiführen soll, wird von der Geschichte zweifellos zu den gerechtesten und nützlichsten aller Kriege gezählt werden“, erklärte Riabuschinski. Alle früheren Interventionsversuche seien mißglückt oder aufgegeben worden, weil sie sich als zu kostspielig erwiesen. „Im Jahre 1920 und in der Folgezeit bis 1925 forderten die Fachleute für die Durchführung dieser Operation innerhalb von sechs Monaten eine Armee von einer Million Mann. Die Kosten wurden auf 100 Millionen englische Pfund veranschlagt.“
Aber diesmal, meinte der zaristische Millionär, könnte die Zertrümmerung Sowjetrußlands dank den innerpolitischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Regimes mit bedeutend geringeren Investitionen bewerkstelligt werden. Etwa 500000 Mann müßten in drei bis vier Monaten mit der groben Arbeit fertig werden. Die endgültige Ausrottung der kommunistischen Überreste werde natürlich noch einige Zeit in Anspruch nehmen, aber dabei handle es sich mehr um Polizeiaktionen als um militärische Operationen im eigentlichen Sinne des Wortes.
Dann folgte eine Aufzählung der zahlreichen günstigen Folgeerscheinungen der Invasion auf „geschäftlichem“ Gebiet. Das Aufblühen der von Männern seines Schlages gelenkten russischen Wirtschaft würde dem „europäischen Wirtschaftssystem durch die Nachfrage nach den verschiedensten Gütern jährlich derartige Reichtümer zuführen“, daß man sehr wohl mit dem „Verschwinden des fünf Millionen starken Arbeitslosenheeres in Österreich, Deutschland und Großbritannien“ rechnen könne.
Der antisowjetische Kreuzzug erschien ihm selbstverständlich. als „große, heilige Aufgabe“, als „moralische Pflicht der Menschheit“. „Aber selbst wenn wir das alles außer acht lassen und das Ganze schlicht und ungeschminkt nur vom nüchternen Standpunkt des Geschäftsmannes aus betrachten“, fuhr Riabuschinski fort,
„können wir mit Sicherheit behaupten, daß es unter dem Gesichtspunkt der Rentabilität in der ganzen Welt kein besser fundiertes, ertragreicheres Unternehmen geben kann als die Befreiung Rußlands. Die Investition von einer Milliarde Rubel wird der Menschheit einen Gewinn von nicht weniger als fünf Milliarden abwerfen, das heißt, fünfhundert Prozent per annum; dabei besteht die Aussicht, daß die Gewinnrate sich noch weiterhin jährlich um hundert oder zweihundert Prozent steigert. Läßt sich ein besseres Geschäft denken?“
Durch einen Zufall erhielt die Öffentlichkeit Einblick in die abenteuerlichen antidemokratischen und antisowjetischen Komplotte, die gegen Ende der zwanziger Jahre in den unterirdischen Schichten der großkapitalistischen und diplomatischen Kreise Europas ausgeheckt wurden.
Die Frankfurter Polizei stieß bei einer der regelmäßig stattfindenden Razzien in einem Lagerhaus auf eine große Menge in Bündel verpackter gefälschter sowjetischer Banknoten (Tscherwonzen), die nach Sowjetrußland transportiert werden sollten.
Diese Entdeckung führte zu dem berühmten „Tscherwonzen-Prozeß“, der sich zu einer internationalen Sensation gestaltete. Im Verlauf des Verfahrens wurden mehrere prominente Persönlichkeiten erwähnt, darunter Sir Henri Deterding und sein geheimnisvoller Agent George Bell, der zaristische Petroleummagnat Nobel, der bayerische nazifreundliche Industrielle Willi Schmidt und der berühmte General Max Hoffmann, der kurz vor Abschluß der Untersuchung starb.
Die Angeklagten, denen die Fälschung der sowjetischen Banknoten zur Last gelegt wurde, waren Bell, Schmidt und zwei Georgier, Karumidse und Sadatiraschwili, die an der sowjetfeindlichen Verschwörung Noi Shordanias teilgenommen hatten. Der Verlauf der Verhandlung ergab, daß die Angeklagten die sowjetisch verwalteten Gebiete des Kaukasus mit gefälschten Banknoten überschwemmen wollten, um auf diese Weise politische Spannungen und Störungen in der Sowjetunion hervorzurufen.
Der Vorsitzende bemerkte: „Wirtschaftliche Faktoren wie Petroleumquellen und Mineralvorkommen scheinen in dieser Sache eine entscheidende Rolle zu spielen.“
Es stellte sich bald heraus, daß die Banknotenfälschung nur das unwichtige Nebenprodukt eines riesigen Komplottes war. Der nazifreundliche Industrielle Willi Schmidt sagte aus, daß er wohl in erster Linie an der „Unterdrückung des Kommunismus in Deutschland“ interessiert sei, aber den Sturz des Sowjetregimes als notwendige Voraussetzung dafür ansehe. Er gab zu, im Jahr 1926 die Reise General Hoffmanns nach London finanziert zu haben (Hoffmann unterbreitete damals dem englischen Außenamt seine Vorschläge für ein französisch-deutsch-englisches Bündnis gegen Rußland). Schmidt erklärte dem Gerichtshof, daß er „zu General Hoffmann sowohl wegen seiner Charaktereigenschaften als auch wegen seiner angeblichen engen Beziehungen zu maßgebenden Kreisen der englischen Petroleumindustrie das größte Vertrauen“ habe.
Nach Aussage des georgischen Verschwörers Karumidse handelte es sich hierbei um die Verbindung mit Sir Henri Deterding, von dem die Verschwörung in erster Linie finanziert wurde.
Weitere Zeugenaussagen ergaben, daß einflußreiche Finanzgruppen und Politiker in Deutschland, Frankreich und England die geplante Abtrennung des Kaukasus von der Sowjetunion bis in alle Einzelheiten ausgearbeitet hatten; dieser Schritt sollte den Ausbruch eines allgemeinen Krieges gegen Rußland vorbereiten und beschleunigen. Es bestanden bereits Syndikate für die „wirtschaftliche Ausbeutung der befreiten Gebiete“. Deutschland sollte Truppen, Techniker und Waffen liefern. Die englisch-französischen Gruppen waren bereit, einen finanziellen und diplomatischen Druck auf Rumänien und Polen auszuüben, um diese Länder zur Teilnahme an dem Kreuzzug zu veranlassen.
Ein Dokument, „dessen Veröffentlichung die Sicherheit des deutschen Staates gefährden könnte“, wurde unter Ausschluß der Öffentlichkeit verlesen. Angeblich wäre der deutsche Generalstab durch die Bekanntgabe des Inhalts kompromittiert worden.
Der Prozeß nahm gefährliche Dimensionen an. Die „New York Times“ berichtete am 23. November 1927: „Das (deutsche) Auswärtige Amt und die britische Botschaft haben zwar erklärt, das Publikum werde den vollen Sachverhalt erfahren, aber es ist ein offenes Geheimnis, daß die Polizei den Auftrag erhalten hat, die ganze Angelegenheit niederzuschlagen.“
Der Tscherwonzen-Prozeß fand einen plötzlichen und höchst sonderbaren Abschluß. In der Beweisführung des deutschen Gerichtshofes hieß es, die Banknoten seien niemals in Umlauf gewesen, da sie noch vor der Ausgabe von der Polizei beschlagnahmt wurden; es liege daher, streng genommen, keine Fälschung vor. Die „Nachahmung sowjetischer Zahlungsmittel“ sei „klar erwiesen“, erklärte das Gericht, aber da die Fälscher und ihre Helfershelfer von „selbstlosen, politischen Motiven geleitet wurden“, hätten sie Anrecht auf einen Freispruch. Die Angeklagten verließen den Gerichtssaal als freie Männer.
Die Zeitungen vermieden es, den sensationellen Fall auch nur mit einem Wort zu erwähnen, nachdem Sir Henri Deterding die nachfolgende öffentliche Erklärung abgegeben hatte:
„Es ist wahr, daß ich General Hoffmann kannte. Ich habe ihn als Soldaten und geborenen Führer bewundert. Unglücklicherweise ist er tot und kann sich nicht selbst verteidigen. Aber ich will es für ihn tun… General Hoffmann war ein unversöhnlicher Feind des Bolschewismus. Jahrelang beschäftigte er sich mit dem Plan, eine Einheitsfront der Großmächte gegen die russische Gefahr herzustellen… Jeder, der sich mit der Politik der Nachkriegszeit befaßt hat, weiß, daß er den Kampf gegen Moskau ersehnte. Schade, daß er tot ist, denn er hätte seinen Verleumdern eine erschöpfende Antwort geben können …“
Der für 1929 angesetzte Angriff auf die Sowjetunion wurde bis zum Sommer 1930 verschoben. In weißgardistischen Kreisen gab man als Ursache dieser Verzögerung „ungenügende Vorbereitungen auf seiten Frankreichs“ an, aber es war allgemein bekannt, daß die verschiedenen Gruppen zu keiner Einigung über die Verteilung der „Einflußsphären in den befreiten Gebieten“ gelangen konnten. Die Engländer und Franzosen stritten um die Kontrolle des Kaukasus und der Kohlenlager im Donbas; und sie widersetzten sich gemeinsam den deutschen Ansprüchen auf die Ukraine. Trotzdem erwartete Sir Henri Deterding, der eigentliche Führer der Bewegung, mit gewohntem Optimismus eine Beilegung dieser Schwierigkeiten und kündigte den Beginn des Krieges mit aller Zuversicht für den Sommer 1930 an.
Am 15. Juni 1930 beantwortete Deterding das Schreiben eines Weißgardisten, der sich für eine Geldsendung bedankte, mit folgenden Worten:
„Wenn Sie wirklich Ihre Dankbarkeit beweisen wollen, dann bitte ich Sie um eines: bemühen Sie sich, in dem neuen Rußland, das in wenigen Monaten wiedererstehen wird, einer der besten Söhne Ihres Landes zu werden.“
Als im folgenden Monat in Paris das zehnjährige Bestehen der russischen Ecole Normale, einer Militärakademie für die Söhne weißgardistischer Offiziere und Aristokraten, feierlich begangen wurde, hielt Sir Henri Deterding die Hauptansprache. Zaristische Fürsten und Fürstinnen, Bischöfe, Generale, Admirale und Offiziere wohnten dem Festakt bei. Die französische Armee war durch hohe Würdenträger in voller Paradeuniform vertreten.
Zu Beginn seiner Rede erklärte Deterding den Versammelten, sie seien ihm für die Unterstützung ihres Werkes keinen Dank schuldig, da er damit nur seine Pflicht gegenüber der westlichen Zivilisation erfülle. Zu einer Gruppe junger uniformierter Russen gewandt, fuhr er fort:
„Sie müssen Selbstvertrauen haben. Denken Sie daran, daß Ihre Tätigkeit in Ihrer russischen Heimat weitergehen wird. Vergessen Sie nicht, daß die Bewegung für die baldige Befreiung Rußlands, das jetzt ein nationales Unglück durchmacht, wächst und täglich stärker wird. Die Stunde der Erlösung Ihres großen Vaterlandes hat geschlagen.“
Die folgende Feststellung fand bei den französischen Offizieren ebenso begeisterten Beifall wie bei den Weißgardisten:
„Die Befreiung Rußlands wird viel früher erfolgen, als wir alle glauben. Vielleicht wird sie in wenigen Monaten vollendet sein!“
Diese Kriegsvorbereitungen wurden durch die unerwartete „Katastrophe“ der Weltwirtschaftskrise jedoch unterbrochen.
Am 18. Dezember 1930 schilderte Benito Mussolini die Auswirkungen dieses beispiellosen Geschehens auf Europa:
„Die Lage Italiens war zufriedenstellend, bis im Herbst 1930 der amerikanische Wirtschaftskrach mit der Plötzlichkeit einer Bombenexplosion erfolgte. Für uns arme europäische Provinzler war es eine große Überraschung. Wir standen der Nachricht mit der gleichen Fassungslosigkeit gegenüber, mit der die Welt einst den Tod Napoleons aufnahm … Die schöne Fassade war plötzlich zusammengebrochen, wir erlebten eine Reihe böser Tage. Die Aktien fielen um dreißig, vierzig und fünfzig Prozent. Die Krise verschärfte sich … An jenem Tag wurden wir wieder auf die hohe See hinausgestoßen, und von nun an war es sehr schwierig für uns, das Steuer in der Hand zu behalten.“
Arbeitslosigkeit, Hunger, allgemeine Demoralisierung und Not waren die unvermeidlichen Begleiterscheinungen der Wirtschaftskrise, die sich, von der Wall Street ausgehend, in kurzer Zeit wie eine Sturmflut über ganz Europa und Asien ausbreitete. Keines der Länder, die sich an der Heiligen Allianz gegen den Bolschewismus beteiligen sollten, blieb verschont. Fast jeder Tag brachte den Zusammenbruch von Großbanken und Industriekonzernen. Die Kleinsparer gingen zugrunde. Die Arbeiter lagen auf der Straße. Während Millionen von Menschen hungerten, verfaulte der Weizen in den überfüllten Silos; der überschüssige Mais wurde vergraben; Kaffee diente als Brennmaterial; Fische wurden ins Meer zurückgeworfen. Die Welt war nicht mehr imstande, die Waren, die sie in Überfülle produziert hatte, zu bezahlen. Ein Wirtschaftssystem war zusammengebrochen.
Zu Beginn des Jahres 1931 schrieb Montagu Norman, der Gouverneur der Bank von England, an den Gouverneur der Banque de France, Moret: „Das kapitalistische System wird in der ganzen zivilisierten Welt im Laufe eines Jahres Schiffbruch. erleiden, wenn nicht drastische Maßnahmen zu seiner Rettung ergriffen werden.“
Eine Welt war zusammengestürzt, und inmitten der grausigen Zerstörung wanderten ganze Völkerscharen fassungsloser Menschenwesen wie verlorene Seelen umher…
Für Japan war der günstige Augenblick zum Handeln gekommen. Die erste Phase der Tanaka-Denkschrift wurde in die Tat umgesetzt. In der Nacht zum 19. September 1931 fielen japanische Streitkräfte in die Mandschurei ein. Die Kuomintang-Armeen, die den Bürgerkrieg gegen die chinesischen Kommunisten noch immer fortführten, wurden überrumpelt und leisteten nur schwachen Widerstand. Japan besetzte die Mandschurei, um „China vor dem Bolschewismus zu retten“.
Der zweite Weltkrieg hatte begonnen - wenn auch nicht ganz programmgemäß.
ANMERKUNGEN
Derselbe Oberst Joinville hatte im Jahre 1918 die französische Interventionsarmee in Sibirien befehligt. Zur Zeit der Torgprom-Konferenz gehörten dem französischen Generalstab folgende Persönlichkeiten an:
Marschall Foch, der sich seit 1919 unentwegt für die Intervention gegen Rußland einsetzte, Marschall Petain, dessen sowjetfeindliche Gefühle nur von seiner Angst vor der Demokratie und seiner Verachtung jeder demokratischen Bewegung übertroffen wurden, General Weygand, der im Jahre 1920 die polnischen Streitkräfte gegen die Rote Armee geführt und seitdem ein unermüdliches Interesse für antisowjetische und antidemokratische Komplotte an den Tag gelegt hatte. Foch starb im Jahre 1929; sein persönlicher Adjutant Rene l’Hôpital wurde später Präsident des berüchtigten Französisch-Deutschen Komitees, das 1933 von dem Naziagenten Otto Abetz gegründet wurde und der Verbreitung nazistischer und sowjetfeindlicher Propaganda in Frankreich diente.
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