Der Nationalsozialismus verdankte seinen Aufstieg dem Propagandamärchen von der „bolschewistischen Gefahr“. Mit dem Schlagwort: „Deutschland muß vor dem Kommunismus gerettet werden“, arbeitete sich Adolf Hitler aus der Anonymität eines kleinen österreichischen Gefreiten und Reichswehrspions zum Rang des deutschen Reichskanzlers empor. Der Provokationsakt des Reichstagsbrandes in der Nacht zum 27. Februar 1933 brachte eine weitere Stärkung seiner Macht. Obwohl die Nazis selbst das Feuer gelegt hatten, behauptete Hitler, der Reichstagsbrand hätte das Signal für einen kommunistischen Aufstand gegen die deutsche Regierung sein sollen. Unter diesem Vorwand wurde der Ausnahmezustand verhängt, führende Antifaschisten wurden ins Gefängnis geworfen oder ermordet, die Gewerkschaften wurden aufgelöst. Aus den verkohlten Trümmern des Reichstages erhob sich Hitler als „Führer des Dritten Reiches“.
Das Dritte Reich wurde jetzt an Stelle der überlebten weißgardistischen Gegenrevolution das Bollwerk der internationalen Reaktion. Die von den industriellen und militärischen Riesenkräften des wiedererstarkenden deutschen Imperialismus getragene nationalsozialistische Bewegung war die höchste Stufe der Gegenrevolution. In ihrem politischen Glaubensbekenntnis erwachten die dunklen Haßgefühle und fanatischen Vorurteile des Zarentums zu neuem Leben. Die Sturmtrupps waren zu regulären militärischen Formationen erhobene Schwarze Hundertschaften. Das Programm der neuen deutschen Regierung forderte die Ausrottung ganzer Völker und Massenpogrome. Die Nazis bezogen ihre Ideologie aus den „Protokollen der Weisen von Zion“. Die Naziführer waren die geistigen Nachkommen der Träger des Weißen Terrors, der Barone Wrangel und Ungern. Der fünfzehnjährige unehrliche Frieden, die heimlichen Kriege gegen Weltdemokratie und Fortschritt im Namen des „Antibolschewismus“ hatten Frucht getragen. Der Brand, in dem der Reichstag aufgegangen war, griff immer weiter um sich, bis er schließlich den ganzen Erdball bedrohte…
„Wir setzen dort an, wo man vor sechs Jahrhunderten endete“, schrieb Hitler in „Mein Kampf“. „Wir stoppen den ewigen Germanenzug nach dem Süden und Westen Europas und weisen den Blick nach dem Land im Osten. Wir schließen endlich ab die Kolonial- und Handelspolitik der Vorkriegszeit und gehen über zur Bodenpolitik der Zukunft. Wenn wir aber heute in Europa von neuem Grund und Boden reden, können wir in erster Linie nur an Rußland und die ihm Untertanen Randstaaten denken.“
Die vom Köder des „Antibolschewismus“ magnetisch angezogenen internationalen Kräfte der Reaktion und des Imperialismus kamen Adolf Hitler zu Hilfe. Dieselben Staatsmänner und Militärs, die früher jede weißgardistische Intrige und Verschwörung gegen Sowjetrußland unterstützt hatten, wurden jetzt ebenso eifrige Verteidiger und Förderer des Nationalsozialismus. Der antibolschewistische Kreis um Marschall Foch und seine ehemaligen Adjutanten Petain und Weygand übersah in der Begeisterung für diesen jüngsten und mächtigsten Bundesgenossen im Kampf gegen den Bolschewismus völlig die Bedrohung, die der Nationalsozialismus auch für Frankreich bedeutete. Mannerheim in Finnland, Horthy in Ungarn, Sirovy in der Tschechoslowakei und all die anderen europäischen Drahtzieher des antisowjetischen Krieges wurden über Nacht zu Vorkämpfern der gegen Osten gerichteten nazistischen Aggression.
Im Mai 1933, wenige Monate nach Hitlers Machtübernahme, reiste Alfred Rosenberg nach England, um mit Sir Henri Deterding zu verhandeln. Der Nazi-„Philosoph“ weilte als Gast auf dem Landsitz des Petroleummagnaten in Buckhurst Park, nahe bei Schloß Windsor. Damals hatte sich unter den konservativen Anhängern des antibolschewistischen Kreuzzuges in England bereits eine starke nazifreundliche Gruppe herausgebildet.
Am 28. November 1933 wurde in Lord Rothermeres „Daily Mail“ zum erstenmal ein Thema angeschlagen, das schon nach kurzer Zeit die Gesamthaltung der englischen Außenpolitik bestimmte:
„Die kraftvollen jungen Nazis sind die Hüter des vom Kommunismus bedrohten Europa… Deutschland braucht Lebensraum … Die Ablenkung der deutschen Kraftreserven und der deutschen Organisationsfähigkeit auf das bolschewistische Rußland könnte dem russischen Volk wieder zu einer zivilisierten Lebensform verhelfen und den Welthandel vielleicht neuerlich auf die Bahn der Prosperität zurückführen.“
Man wollte die über die ganze Welt verstreuten Feinde des Bolschewismus und der Demokratie, die Kräfte der Weißen Gegenrevolution, unter nationalsozialistischer Führung zu einer einzigen internationalen Streitmacht zusammenfassen; es ging um die Zertrümmerung der europäischen Demokratie, um den Überfall auf Sowjetrußland und letzten Endes um die Weltherrschaft.
Es gab in den westlichen Demokratien weitblickende Staatsmänner, die sich weigerten, Hitlers Bolschewistenfeindlichkeit als Entschuldigung für alle nazistischen Verbrechen und Komplotte gelten zu lassen. Ein englischer und ein amerikanischer Staatsführer erkannten vom ersten Tage an, daß der Triumph des deutschen Nationalsozialismus das Ende einer weltgeschichtlichen Epoche bedeutete. Der fünfzehnjährige Geheimkrieg gegen Sowjetrußland hatte im Herzen Europas ein militarisiertes Ungeheuer groß werden lassen, das den Frieden und die Sicherheit aller freien Völker bedrohte.
Zur Zeit, da Hitlers Sturmtrupps mit dem Lied: „Heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt!“ knüppelschwingend durch die Straßen Deutschlands zogen, erhob sich in England eine warnende, prophetische Stimme. Wider alles Erwarten war es die Stimme Winston Churchills, des ehemaligen Wortführers der antibolschewistischen Konservativen.
Im Dezember 1933 sagte sich Churchill von seinen konservativen Gesinnungsfreunden los und bezeichnete den Nationalsozialismus als Bedrohung des Britischen Reiches. Unter direkter Bezugnahme auf Lord Rothermeres Erklärung, über die „kraftvollen jungen Nazis“, die „Hüter des vom Kommunismus bedrohten Europa“, sagte Churchill:
„All diese Rotten kräftiger junger Teutonen, die über Deutschlands Straßen und Chausseen marschieren … wollen Waffen. Und glaubt mir, wenn sie einmal Waffen haben, dann werden sie die Rückgabe der verlorenen Gebiete und Kolonien verlangen. Und die Erfüllung dieser Forderung wird unvermeidlich alle übrigen Länder gefährden und vielleicht bis in ihre Grundfesten erschüttern.“
Churchill forderte ein Bündnis mit Frankreich und sogar mit Sowjetrußland gegen Nazideutschland. Dieselben Kreise, die ihn vorher als Helden der antibolschewistischen Bewegung gefeiert hatten, bezeichneten ihn jetzt als Verräter und Kriegshetzer … Auch auf der anderen Seite des Atlantischen Ozeans gab es einen Mann, der das Ende eines Zeitalters herannahen sah. Franklin Delano Roosevelt, der neugewählte Präsident der Voreinigten Staaten, machte Schluß mit der sowjetfeindlichen Politik, die sein Vorgänger Herbert Hoover betrieben hatte. Am 16. November 1933 wurden die diplomatischen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion in vollem Umfang aufgenommen. Am gleichen Tag schrieb Präsident Roosevelt an Maxim Litwinow:
„Ich hoffe, daß die wiederhergestellten Beziehungen zwischen unseren Völkern stets freundschaftlich und ungestört bleiben und daß unsere Nationen von nun an zu gegenseitigem Nutzen und im Interesse der Erhaltung des Weltfriedens zusammenarbeiten werden.“
Vor Ablauf eines Jahres trat Deutschland aus dem Völkerbund aus.
Eine neue Epoche hatte begonnen. Eine Epoche hemmungslosen, ungeheuerlichen Verrates, die durch ihre terroristische Geheimdiplomatie, ihre Morde, Verschwörungen, Staatsstreiche und Betrügereien alle Schrecken früherer Zeiten in den Schatten stellte und im zweiten Weltkrieg ihren Höhepunkt erreichte.
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