Die große Verschwörung

Drittes Buch - Die fünfte Kolonne in Rußland

XV. DER WEG ZUM VERRAT

1. Der rebellierende Revolutionär

Vom Augenblick der „Machtergreifung“ an wurden die Bestrebungen der internationalen Gegenrevolution in die nazistischen Welteroberungsplane einbezogen. Hitler mobilisierte die gegenrevolutionären Kräfte, die sich im Laufe von fünfzehn Jahren in allen Ländern der Welt konsolidiert hatten. Diese Gruppen, die jetzt in Spionage- und Terrororganisationen der nazistischen Fünften Kolonne umgewandelt wurden, bildeten die geheime Vorhut der deutschen Wehrmacht.

Eine der mächtigsten und wichtigsten Abteilungen der Fünften Kolonne operierte in Sowjetrußland. Ihr Leiter war einer der interessantesten politischen Renegaten der Weltgeschichte: Leo Trotzki.

Zur Zeit der Geburt des Dritten Reiches stand Leo Trotzki bereits an der Spitze einer internationalen sowjetfeindlichen Verschwörerorganisation, die über eine starke Anhängerschaft innerhalb der Sowjetunion verfügte. Trotzki bereitete in der Verbannung den Sturz der Sowjetregierung, seine Rückkehr nach Rußland und seinen Aufstieg zu jener persönlichen Machtstellung vor, die er schon einmal in greifbarer Nähe vor sich gesehen hatte.

„Es gab eine Zeit“, schrieb Winston Churchill in „Great Contemporaries“, „wo Trotzki unmittelbar neben dem verwaisten Thron der Romanows stand.“

In der Weltpresse der Jahre 1919/20 wurde Trotzki mit Vorliebe der „Rote Napoleon“ genannt. Er war damals Kriegskommissar. In seinem langen, eleganten Offiziersmantel, mit hohen, glänzenden Stiefeln und einem Revolver im Gürtel tauchte er an verschiedenen Stellen der Frontlinie auf, um vor den Soldaten der Roten Armee feurige Ansprachen zu halten. Er wandelte einen Panzerzug in sein persönliches Hauptquartier um und verfügte über eine bewaffnete Leibgarde, die Spezialuniformen trug. Im Heereskommando, in der bolschewistischen Partei, in der Sowjetregierung: überall hatte er seine Parteigänger. Trotzkis Zug, Trotzkis Garde, Trotzkis Reden, Trotzkis Äußeres - der schwarze Haarschopf, der kleine schwarze Spitzbart, funkelnde Augen hinter Zwickergläsern - waren weltberühmt. In Europa und Amerika wurden die Siege der Roten Armee in erster Linie „Trotzkis Führergabe“ zugeschrieben.

Der bekannte amerikanische Auslandskorrespondent Isaac F. Marcosson beschrieb eine der eindrucksvollen Massenversammlungen, die der Kriegskommissar in Moskau veranstaltete:

„Trotzki wußte die Wichtigkeit eines guten Auftritts zu schätzen … Er ließ sein Publikum eine Weile warten, dann tauchte er im richtigen psychologischen Moment aus einer Seitentür auf und begab sich mit raschen Schritten zu dem kleinen Pult, das in allen russischen Versammlungen für den Redner bereitsteht.

Die zahlreiche Zuhörerschaft erwartete sein Erscheinen mit fieberhafter Spannung. Überall hörte man flüstern: ‚Trotzki kommt!’

Sein Eifer war elementar, beinahe primitiv - ein menschlicher Motor auf Hochtouren. Er überschwemmte seine Hörer mit einem Schwall von Beredsamkeit - ich habe nie etwas ähnliches gehört. Seine hervorstechendsten Eigenschaften waren Eitelkeit und Hochmut.“

Nach den dramatischen Ereignissen des Jahres 1929, die zu Trotzkis Verbannung führten, umwoben die sowjetfeindlichen Elemente aller Länder seinen Namen und seine Persönlichkeit mit einem Mythus.

Aber im Februar 1917, einen Monat vor dem Zusammenbruch des Zarismus, hatte Lenin selbst geschrieben:

„Der Name Trotzki bedeutet: linke Phraseologie und Blockbildung mit dem rechten Flügel gegen die Ziele des linken Flügels.“.

Lenin nannte Trotzki den „Judas“ der russischen Revolution.[43]

Man wird nicht als Verräter geboren. Wie Benito Mussolini, Pierre Laval, Paul Joseph Goebbels, Jacques Doriot, Wang Tsching-wei und andere berühmte Abenteurer unserer Zeit begann Leo Trotzki seine Laufbahn als extrem links gerichtetes oppositionelles Element innerhalb der revolutionären Bewegung seines Landes.

Der Name Trotzki war ein Pseudonym für Leo Dawidowitsch Bronstein. Trotzki wurde im Jahr 1879 in Janowka, einem Dörfchen in der Umgebung von Cherson in Südrußland, geboren. Seine Eltern waren wohlhabende Bürger. Ursprünglich hatte er den Ehrgeiz, Schriftsteller zu werden.

„In meinen Augen“, schrieb Trotzki in seiner Selbstbiographie „Mein Leben“, „gehörten die Schriftsteller, Journalisten und. Künstler einer besonderen, schöneren Welt an, einer Welt, die nur den Auserwählten offensteht.“

Er begann ein Theaterstück zu schreiben und verkehrte in den literarischen Salons von Odessa. Damals trug er Schaftstiefel, eine blaue Künstlerjacke, einen runden Strohhut und einen schwarzen Spazierstock. Während seiner Studentenzeit schloß er sich einer Gruppe radikalistischer Bohemiens an. Als er achtzehn Jahre alt war, ertappte ihn die zaristische Polizei bei der Verteilung sozialistischer Literatur. Er wurde verhaftet und zusammen mit Hunderten von anderen Studenten und Revolutionären nach Sibirien verbannt. Im Herbst 1902 gelang es ihm zu entfliehen. Er ging ins Ausland und verbrachte den größten Teil seines Lebens als Agitator und Verschwörer in den Hauptstädten Europas, wo er sich in Kreisen der russischen Emigranten und Sozialisten verschiedener Nationalitäten bewegte.

Während der ersten Monate des Jahres 1903 arbeitete Trotzki in der Redaktion der „Iskra“, einer von Lenin im Londoner Exil herausgegebenen Zeitung. Nach der Spaltung der russischen marxistischen Bewegung in Bolschewiki und Menschewiki, die im Sommer des gleichen Jahres stattfand, schloß sich Trotzki den politischen Gegnern Lenins, den Menschewiki, an. Er besuchte die radikalen russischen Studentenkolonien in Brüssel, Paris und Lüttich, in der Schweiz und in Deutschland, und polemisierte gegen die Ansicht Lenins und der übrigen Bolschewiki, daß der Kampf gegen den Zarismus eine disziplinierte, straffe Parteiorganisation erfordere. In einem 1904 veröffentlichten Pamphlet „Unsere politischen Aufgaben“ warf er Lenin vor, er versuche, den russischen Radikalen ein „Kasernenreglement“; aufzuzwingen, wobei er eine Sprache gebrauchte, die stark an seine späteren Angriffe gegen Stalin erinnert.

Dem Sieg Japans über das zaristische Rußland im Jahre 1905 folgte der mißglückte Versuch der „ersten“ russischen Arbeiter und Bauernrevolution. Trotzki eilte sofort nach Rußland zurück und übernahm eine führende Rolle im Petersburger Sowjet, dem vorwiegend Menschewiki angehörten. In der erhitzten Atmosphäre politischer Intrigen und Konflikte, mit der Aussicht auf die nahe bevorstehende Machtübernahme, fühlte sich Trotzki in seinem Element. Dieses Erlebnis bekräftigte den sechsundzwanzigjährigen Trotzki in seiner Überzeugung, daß er zum Führer der russischen Revolution ausersehen sei. Schon damals sprach er von seinem „Stern“ und seiner „revolutionären Intuition“.

Später schrieb er in seinem Buch „Mein Leben“:

„Im Februar 1905 kam ich nach Rußland; die anderen führenden Emigranten trafen erst im Oktober und November ein. unter den russischen Genossen war nicht einer, von dem ich etwas hätte lernen können. Im Gegenteil, ich mußte die Rolle des Lehrers übernehmen … Im Oktober stürzte ich mich Hals über Kopf in den Strudel des gigantischen Geschehens; es war, vom persönlichen Standpunkt gesehen, eine äußerste Kraftprobe. Es galt, in der Feuerlinie Entscheidungen zu treffen.“

Nachdem die Revolution von 1905 gescheitert war, schlug Trotzki sein politisches Hauptquartier in Wien auf. Er bezeichnete Lenin als „Bewerber um den Diktatorposten“, betrieb Propaganda für seine eigene Bewegung und suchte sich als Förderer der „internationalen Revolution“ hinzustellen. Trotzki war ständig unterwegs. Von Wien aus bereiste er Rumänien, die Schweiz, Frankreich und die Türkei, um Anhänger zu werben und wertvolle Verbindungen mit europäischen Sozialisten und Linksradikalen anzuknüpfen. Durch seine hartnäckigen Bemühungen brachte er es schließlich so weit, daß er bei den Menschewiki, den Sozialrevolutionären und der intellektuellen Boheme der russischen Emigration als wichtigster Gegner Lenins innerhalb der russischen revolutionären Bewegung galt.

Als das Zarenregime im März 1917 zusammenbrach, befand sich Trotzki in New York, wo er zusammen mit seinem Freund, dem Lenin-Gegner Nikolai Bucharin, die radikale russische Zeitung „Novy Mir“ (Neue Welt) herausgab. Bucharin gehörte zum äußersten linken Flügel der politischen Emigration. Jemand nannte ihn einmal den „blonden Maehiavelli in der Lederjacke“.[44] Trotzki trat sofort die Rückreise nach Rußland an. In Halifax wurde er von den kanadischen Behörden verhaftet, die ihn einen Monat lang in Gewahrsam hielten. Dann wurde er auf Ersuchen der russischen Provisorischen Regierung freigelassen.

Die britische Regierung hatte beschlossen, Trotzki die Rückkehr nach Rußland zu gestatten. Wie aus den Memoiren des englischen Agenten Bruce Lockhart hervorgeht, hoffte der britische Geheimdienst, aus den „Meinungsverschiedenheiten zwischen Trotzki und Lenin“ Nutzen zu ziehen…[45]

Trotzki traf im Mai in Petrograd ein. Zuerst versuchte er, eine eigene revolutionäre Partei ins Leben zu rufen - einen aus ehemaligen Emigranten und Mitgliedern verschiedener radikaler Parteien zusammengesetzten Block der äußersten Linken. Aber es stellte sich bald heraus, daß eine solche Bewegung keine Aussicht auf Erfolg hatte. Die revolutionären Massen standen geschlossen hinter der bolschewistischen Partei.

Im August 1917 vollzog sich ein sensationeller Umschwung in Trotzkis politischer Haltung. Nachdem er Lenin und die Bolschewiki vierzehn Jahre lang bekämpft hatte, suchte er um Aufnahme in die bolschewistische Partei an.

Lenin hatte vor Trotzki und seiner durch persönlichen Ehrgeiz bestimmten Handlungsweise häufig gewarnt; aber jetzt, wo der Entscheidungskampf um die Errichtung einer Sowjetregierung begonnen hatte, mußte Lenins Politik auf die Schaffung einer Einheitsfront sämtlicher revolutionärer Fraktionen, Gruppen und Parteien gerichtet sein. Trotzki wurde in die bolschewistische Partei aufgenommen.

Es ist kennzeichnend für Trotzki, daß er seinen Einzug in die Partei zu einem eindrucksvollen Schauspiel gestaltete. Er führte der Partei die bunt zusammengewürfelte Schar seiner linken Extremisten zu.

Trotzki wurde Vorsitzender des Petrograder Sowjets, der im Jahre 1905 der Schauplatz seiner ersten revolutionären Wirksamkeit gewesen war. Er blieb während der folgenden entscheidungsschweren Tage auf diesem Posten. Nach der Bildung der ersten Sowjetregierung - einer Koalition von Bolschewiki, linken Sozialrevolutionären und ehemaligen Menschewiki - wurde Trotzki Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten.

2. Die Linksopposition

Trotzki war zuerst als Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten und später als Kriegskommissar der wichtigste Repräsentant der sogenannten Linksopposition innerhalb der Kommunistischen Partei.[46] Die Anhänger der Opposition waren schwach an Zahl. Sie unterhielten weitverzweigte Beziehungen zum Ausland und standen mit den russischen Menschewiki und Sozialrevolutionären in Kontakt. In den ersten Tagen der Revolution sicherten sie sich einflußreiche Stellen im Heer, im diplomatischen Korps und in den obersten Staatsämtern.

Trotzki übte die Herrschaft über die Opposition gemeinsam mit zwei anderen radikalen Dissidenten aus: der eine war der schlanke, blonde Nikolai Bucharin, der sich selbst als „marxistischen Ideologen“ bezeichnete und eine Gruppe sogenannter „linker Kommunisten“ anführte; der zweite war der untersetzte, wortreiche linksgerichtete Agitator Grigori Sinowjew, der zusammen mit Trotzkis Schwager Leo Kamenew eine eigene Gruppe, die „Sinowjewisten“, leitete. Zwischen Trotzki, Bucharin und Sinowjew kam es häufig zu Auseinandersetzungen über taktische Fragen; auch persönliche Eifersüchteleien und widerstreitende politische Ambitionen erschwerten die Zusammenarbeit. Aber bei ihren wiederholten Versuchen, sich an die Spitze der Sowjetregierung zu stellen, hielten sie fest zusammen.

Zu Trotzkis persönlichen Anhängern gehörten: Juri Pjatakow, der radikal gesinnte Abkomme einer reichen ukrainischen Familie; der Pole Karl Radek, ein glänzender „linker“ Journalist und Agitator, den der gemeinsame Kampf gegen Lenin in der Schweiz mit Trotzki zusammengeführt hatte; Nikolai Krestinski, ein ehemaliger Advokat und ehrgeiziger sozialdemokratischer Dumaabgeordneter; Grigori Sokolnikow, ein junger radikaler Kosmopolit, den Trotzki im Volkskommissariat für Auswärtige Angelegenheiten unterbrachte, und Christian Rakowski, ein gebürtiger Bulgare, der die rumänischen Sozialisten mit seinem Reichtum unterstützt hatte. Er zog von einem Land Europas ins andere und studierte in Frankreich Medizin. Außerdem umgab sich Trotzki, nachdem er Kriegskommissar geworden war, mit einer Schar zäher, rauher Krieger, der sogenannten „Trotzki-Garde“, die mit leidenschaftlicher Ergebenheit an ihrem „Führer“ hing. In dieser militärischen Fraktion der Trotzki-Partei spielte der hochgewachsene, wagemutige Kommandant der Moskauer Garnison, Nikolai Muralow, eine wichtige Rolle. An der Spitze der Leibwache, der Iwan Smirnow, Sergei Mratschkowski und Ephraim Dreitzer angehörten, stand der ehemalige Sozialrevolutionäre Terrorist Blumkin, der Mörder des Grafen Mirbach.[47]

Trotzki trat auch in freundschaftliche Beziehungen zu Offizieren des alten Regimes, denen er trotz wiederholter Warnungen der bolschewistischen Partei wichtige militärische Funktionen übertrug. Während des polnischen Feldzuges von 1920 hatte er sich besonders eng an den ehemaligen zaristischen Offizier Michail Nikolajewitsch Tuchatschewski, einen Mann von geradezu napoleonischem Ehrgeiz, angeschlossen.

Es war das Ziel der vereinten Kräfte der Linksopposition, Lenin zu verdrängen und die Macht in Sowjetrußland an sich zu reißen.

Nach der Niederringung der weißen und interventionistischen Armeen stand die russische Revolution vor der großen Frage: in welcher Weise soll die Macht der Sowjets zur Anwendung gebracht werden? Trotzki, Bucharin und Sinowjew vertraten die Anschauung, daß es unmöglich sei, im „rückständigen Rußland“ eine sozialistische Ordnung zu errichten. Die Linksopposition wollte die russische Revolution in ein Kräftereservoir der „Weltrevolution“ umwandeln, ein Weltzentrum, von dem aus die Revolutionen anderer Länder in Gang gebracht werden sollten. Lenin und Stalin betonten mehr als einmal, daß die Theorien der Linksopposition, wenn man sie ihrer „ultrarevolutionären Phrasen“ entkleidete, auf einen wilden Machtkampf, „zügellose Anarchie“ und, soweit es sich um Rußland handelte, auf die Errichtung einer Militärdiktatur unter der Führung des Kriegskommissars Trotzki und seiner Anhänger hinausliefen.

Auf dem Sowjetkongreß, der im Dezember 1920 abgehalten wurde, stand diese Frage zur Diskussion. Es war das kritischste Jahr der Revolution. Die Menschen hungerten und froren. Der Kongreß versammelte sich im Säulensaal in Moskau. Die frosterstarrte, von Hunger und Krankheit geplagte Stadt lag unter einer hohen Schneedecke. Die Sowjetdelegierten saßen in Schafsfellen, Decken und Pelze gehüllt in der großen, trotz der bitteren Dezemberkälte ungeheizten Halle.

Lenin sah blaß und angegriffen aus. Er litt noch immer an den Nachwirkungen der lebensgefährlichen Verletzungen, die Fanja Kaplan ihm 1918 mit vergifteten Kugeln beigebracht hatte. Er begab sich auf die Rednertribüne, um der Linksopposition zu antworten. Er schilderte die furchtbaren Zustände, die in Rußland herrschten, und rief zur nationalen Einigkeit auf, um die „unsagbaren Schwierigkeiten“ zu überwinden, die sich der Erneuerung des wirtschaftlichen und sozialen Lebens entgegenstellten. Er kündete die Neue Ökonomische Politik an, die den starren „Kriegskommunismus“ ablösen und den Beginn des Wiederaufbaus durch gewisse Konzessionen an das private Unternehmertum in Rußland erleichtern sollte. „Wir gehen einen Schritt zurück“, sagte Lenin, „um in einem späteren Zeitpunkt zwei Schritte vorgehen zu können!“

Als Lenin den „vorübergehenden Rückzug“ im Zusammenhang mit der Neuen Ökonomischen Politik bekanntgab, rief Trotzki aus; „Der Kuckuck hat das Ende der Sowjetregierung ausgerufen!“

Lenin dagegen glaubte, daß die Arbeit der Sowjetregierung eben erst begonnen habe.

Er sagte dem Kongreß:

„Erst wenn unser Land elektrifiziert ist, wenn die Industrie, die Landwirtschaft und das Transportwesen eine den Erfordernissen der modernen Massenproduktion entsprechende technische Grundlage erhält - erst dann wird unser Sieg vollständig sein.“

Hinter dem Rednerpult hing eine große Karte von Rußland, die auf einen Wink Lenins plötzlich elektrisch beleuchtet wurde. Lenin veranschaulichte dem Kongreß auf diese Weise die künftige Entwicklung des Landes. Eine große Zahl winziger, glitzernder Lämpchen war über die Karte verteilt; sie zeigten den frierenden, hungernden Sowjetdelegierten die Lage der künftigen Kraftstationen, Staudämme und sonstigen Riesenbauten an, die eines Tages Ströme von elektrischer Kraft aussenden sollten, um das alte Rußland in ein modernes, industrialisiertes, sozialistisches Land umzuwandeln. Erregtes Flüstern und Beifallskundgebungen mischten sich mit Äußerungen des Zweifels.

Trotzkis Freund Karl Radek beobachtete das prophetische Schauspiel durch seine dicken Brillengläser; dann zuckte er die Achseln und flüsterte: „Elektrofiktion!“ Radeks Bonmot wurde zum trotzkistischen Schlagwort. Bucharin erklärte, Lenin versuche, die Bauern und Arbeiter mit seinem „utopischen Geschwätz über Elektrifizierung“ zum Narren zu halten!

Trotzkis sozialistische und linkskommunistische Freunde und Anhänger im Ausland hielten Lenin und sein Regime für verloren. Auch viele andere Beobachter sahen in Trotzki und seiner Linksopposition die kommenden Machthaber. Der amerikanische Auslandskorrespondent Isaac F. Marcosson behauptete, Trotzki habe „die Jungkommunisten, den größten Teil der Offiziere und die Soldaten der Roten Armee hinter sich“. Aber das Ausland überschätzte Trotzkis Stärke und Popularität ebenso wie er selbst.

Trotzki reiste im Lande umher, um seine Anhängerschaft zu vergrößern und fester zusammenzuschließen. In öffentlichen Versammlungen hielt er theatralische, leidenschaftliche Ansprachen, in denen er die „alten Bolschewiki“ als „degeneriert“ bezeichnete und die Jugend aufforderte, sich seiner Bewegung anzuschließen. Aber die russischen Soldaten, Arbeiter und Bauern, die soeben aus dem siegreichen Kampf gegen die „Weißen“ Napoleone heimgekehrt waren, verspürten wenig Lust, in ihren eigenen Reihen einen „Roten Napoleon“ großwerden zu lassen. Sir Bernard Pares schrieb in seiner „History of Russia“ über Trotzkis damaliges Verhalten:

„Ein scharfsinniger Kritiker, der Trotzki aus nächster Nähe beobachtete, bemerkte sehr richtig, daß er seinem Wesen und seinen Methoden nach der vorrevolutionären Epoche angehörte. Demagogie war nicht mehr am Platze …“

Auf dem X. Parteitag der KPdSU(B) faßte das von Lenin geführte Zentralkomitee den Beschluß, sämtliche „fraktionellen Gruppen“ innerhalb der Partei zu untersagen, weil sie eine Bedrohung der Einheit der revolutionären Führung darstellten. Von nun an mußten sich sämtliche Parteiführer den Entscheidungen und Richtlinien der Majorität unterwerfen, wenn sie nicht Gefahr laufen wollten, aus der Partei ausgeschlossen zu werden. Das Zentralkomitee verwarnte den „Genossen Trotzki“ ausdrücklich wegen seiner Fraktionstätigkeit und stellte fest, daß die durch seine Spaltungsversuche hervorgerufene Verwirrung von staatsfeindlichen Elementen ausgenutzt werde, um sich unter dem Namen „Trotzkisten“ in die Partei einzuschleichen. Eine Anzahl maßgebender Trotzkisten und sonstige Anhänger der Linksopposition wurden, aus ihren Stellungen entfernt. Trotzkis wichtigste militärische Stütze, Nikolai Muralow, verlor seinen Posten als Kommandant der strategisch wichtigen Moskauer Garnison; an seine Stelle trat der alte Bolschewik Klementi Woroschilow.

Im April 1922 wurde Stalin zum Generalsekretär des ZK der Partei gewählt; er war von nun an für die Durchführung der Pläne Lenins verantwortlich.

Nach der energischen Maßregelung Trotzkis durch die Partei und der Entfernung seiner Anhänger schmolz seine Gefolgschaft rasch zusammen. Sein Ansehen war im Schwinden. Die Ernennung Stalins war ein vernichtender Schlag für die trotzkistische Fraktion in der Partei. Die Macht glitt Trotzki aus den Händen.

3. Der Weg zum Verrat

Die Linksopposition hatte von Anfang an nach zwei Richtungen hin gearbeitet. In eigenen Zeitungen und Versammlungslokalen wurden die Anschauungen der Opposition öffentlich propagierte Gleichzeitig fanden hinter den Kulissen exklusive Geheimkonferenzen statt, in denen Trotzki, Bucharin, Sinowjew, Radek, Pjatakow und andere die Strategie und Taktik der Opposition festlegten und planten.

Auf der Grundlage dieser oppositionellen Bewegung baute Trotzki in Rußland eine Geheimorganisation auf, die ebenso wie Reillys Apparat auf dem System der „Fünfergruppen“ beruhte, dessen sich auch die Sozialrevolutionäre und andere sowjetfeindliche Verschwörer bedient hatten.

1923 war Trotzkis Untergrundbewegung bereits zu einer mächtigen, weitverzweigten Organisation angewachsen. Die Trotzkisten verwendeten in ihrem illegalen Nachrichtendienst Spezialcodes, Chiffren und Losungsworte. In allen Teilen des Landes wurden Geheimdruckereien betrieben. Es gab trotzkistische Zellen in der Armee, im diplomatischen Korps und in den staatlichen und parteilichen Körperschaften.

Viele Jahre später berichtete Trotzki, daß sein eigener Sohn, Leo Sedow, diesem trotzkistischen Verschwörerapparat angehörte, der inzwischen die Grenzen einer bloßen politischen Oppositionsgruppe innerhalb der bolschewistischen Partei gesprengt hatte und sich dem allgemeinen Geheimkrieg gegen die Sowjetregierung einzuordnen begann.

„Im Jahre 1923“, schrieb Trotzki in der 1938 veröffentlichten Broschüre: „Leo Sedow: Sohn, Freund und Kämpfer“, „stürzte er sich Hals über Kopf in die Arbeit der Opposition … So begann er mit siebzehn Jahren das Leben eines bewußten Revolutionärs. Rasch erfaßte er die Kunst der konspirativen Arbeit, die Methodik illegaler Versammlungen und der Herausgabe und Verteilung oppositioneller Schriftstücke. Der Komsomol (der Kommunistische Jugendverband) entwickelte in kürzester Zeit eigene Kader von oppositionellen Führern.“

Aber Trotzki begnügte sich nicht mit der konspirativen. Arbeit innerhalb von Sowjetrußland…

Im Winter 1921/22 wurde der ehemalige Advokat und führende Trotzkist Nikolai Krestinski, ein dunkelhäutiger Mann mit unstetem Blick, Botschafter der Sowjetunion in Deutschland. Im Rahmen seiner offiziellen Funktionen stattete Krestinski dem Kommandanten der Reichswehr, General Hans von Seeckt, einen Besuch ab. Seeckt wußte aus den Berichten seiner Geheimagenten, daß Krestinski Trotzkist war. Der deutsche General deutete an, daß die Reichswehr der von Kriegskommissar Trotzki geführten Opposition sympathisch gegenüberstehe.

Als Krestinski einige Monate später nach Moskau kam, unterrichtete er Trotzki über den Inhalt seines Gespräches mit General Seeckt. Trotzki brauchte damals dringend Geld für die Finanzierung seiner ständig wachsenden Untergrundbewegung. Er erklärte Krestinski, daß die russische Opposition ohne ausländische Verbündete nicht auskommen könne und daher bereit sein müsse, mit freundlich gesinnten Mächten in Beziehung zu treten. Deutschland gehöre nicht zu den Feinden Rußlands, es werde in absehbarer Zeit kaum zu einem Zusammenstoß zwischen den beiden Ländern kommen. Viele Deutsche seien von dem glühenden Wunsch erfüllt, an Frankreich und England Rache zu nehmen, ihre Blicke seien daher nach dem Westen gerichtet. Die Politiker der Opposition müßten aus dieser Situation Kapital schlagen… Als Krestinski 1922 nach Berlin zurückkehrte, gab ihm Trotzki den Auftrag, General Seeckt im „Verlaufe einer offiziellen Unterhandlung vorzuschlagen, er möge Trotzki eine bestimmte Summe für den Ausbau seiner illegalen Bewegung zur Verfügung stellen“.

Die Angelegenheit nahm nach Krestinskis eigenen Worten folgenden Verlauf:

„Ich gab den Vorschlag an General Seeckt weiter und nannte einen Betrag von 250000 Goldmark. Nach einer Unterredung mit seinem Mitarbeiter Generalstabschef Haase erklärte sich der General grundsätzlich einverstanden. Als Gegenleistung verlangte er, daß ihm gewisse wichtige militärische Informationen vertraulichen Charakters, wenn auch nicht regelmäßig, entweder durch mich oder durch Trotzki in Moskau zur Verfügung gestellt würden. Außerdem sollten wir ihm bei der Erlangung von Visas für Personen, die er als Spione nach Rußland zu schicken beabsichtigte, behilflich sein. Diese Gegenforderung des Generals wurde angenommen, die Vereinbarung trat 1923 in Kraft.“[48]

Am 21. Januar 1924 starb Wladimir Iljitsch Lenin, der Schöpfer und Führer der Partei der Bolschewiki.

Trotzki weilte damals im Kaukasus, um sich von einer leichten Influenza zu erholen. Er kehrte nicht nach Moskau zurück, um an Lenins Begräbnis teilzunehmen, sondern blieb in dem Badeort Suchum.

„In Suchum lag ich lange Tage auf dem Balkon mit dem Gesicht zum Meere“, schrieb Trotzki in „Mein Leben“. „Obwohl es Januar war, brannte die Sonne hell und heiß … Mit dem Einatmen der Meeresluft sog ich mit meinem ganzen Wesen die Gewißheit ein, daß im Kampf das historische Recht auf meiner Seite steht.“

4. Der Kampf um die Macht

Unmittelbar nach Lenins Tod machte Trotzki seine Machtansprüche mit aller Offenheit geltend. Auf dem Parteitag vom Mai 1924 forderte er, daß nicht Stalin, sondern er selbst als Nachfolger Lenins anerkannt werde. Gegen den Rat seiner eigenen Verbündeten setzte er eine Abstimmung durch. Die 748 bolschewistischen Delegierten beschlossen einmütig, Stalin als Generalsekretär beizubehalten, und sprachen damit das Urteil über Trotzkis persönliche Ambitionen. Die Ablehnung war so eindeutig, daß selbst Bucharin, Sinowjew und Kamenew sich öffentlich der Majorität anschließen und gegen ihn stimmen mußten. Trotzki war wütend und beschuldigte sie des „Verrates“. Aber schon nach wenigen Monaten vereinigten Trotzki und Sinowjew wiederum ihre Kräfte, um eine „Neue Opposition“ ins Leben zu rufen.

Die Neue Opposition ging in ihrer Zielsetzung weiter als alle früheren separatistischen Gruppen dieser Art. Sie sprach offen die Forderung nach einer „neuen Führerschaft“ für Sowjetrußland aus und versuchte durch eine großangelegte Propaganda alle unzufriedenen und leicht beeinflußbaren Elemente des Volkes zum politischen Kampf gegen die Sowjetregierung aufzurufen. Trotzki selbst schrieb später:

„Im Kielwasser dieser Avantgarde schleppte sich eine Schar unzufriedener, heruntergekommener, verunglückter Existenzen nach.“ Spione, Saboteure der Torgprom, Weiße Gegenrevolutionäre und Terroristen füllten die Geheimzellen der Neuen Opposition. Die Zellen begannen Waffenlager anzulegen. Eine regelrechte trotzkistische Geheimarmee war im Entstehen.

Trotzki hielt in seiner Selbstbiographie die Worte fest, die er damals zu Sinowjew und Kamenew sprach: „Wir müssen weit vorausdenken. Wir müssen uns auf einen langen, schweren Kampf vorbereiten.“

Hauptmann Sidney George Reilly vom englischen Geheimdienst gewann vom Ausland her den Eindruck, daß der Augenblick zum Handeln gekommen war. Im Sommer des Jahres 1924 wurde der in englischen Diensten stehende Anwärter auf die Diktatur, Boris Sawinkow, nach Rußland geschickt, um den gegenrevolutionären Aufstand vorzubereiten.[49] Winston Churchill, der in diesem Komplott eine wichtige Rolle spielte, bestätigte, daß eine geheime Verbindung zwischen Trotzki und Sawinkow bestand. In seinem Buch „Great Contemporaries“ heißt es: „Im Juni 1924 wurde er (Sawinkow) von Kamenew und Trotzki nachdrücklich aufgefordert, nach Rußland zurückzukehren.“

Im gleichen Jahr ging Trotzkis Anhänger Christian Rakowski als Botschafter der Sowjetunion nach England. Trotzki bezeichnete ihn 1937 als seinen Freund, seinen „wahrhaften, alten Freund“. Kurz nach Rakowskis Ankunft in London erschienen in seinem Büro zwei Offiziere des britischen Geheimdienstes, Hauptmann Armstrong und Hauptmann Lockhart. Die britische Regierung hatte sich ursprünglich gegen die Entsendung eines sowjetischen Vertreters nach London ausgesprochen. Die beiden Offiziere gaben Rakowski nach dessen eigenen Worten folgende Erklärung:

„Wissen Sie, warum Ihr Agrement für England erteilt wurde? Wir haben uns bei Mr. Eastman über Sie erkundigt. Er sagte uns, daß Sie Trotzkis Gruppe angehören und mit ihm befreundet sind. Einzig und allein aus diesem Grunde hat der Geheimdienst Ihre Akkreditierung bewilligt.“

Einige Monate später kehrte Rakowski nach Moskau zurück und berichtete Trotzki über seine Londoner Erlebnisse. Der englische Geheimdienst wünsche - ebenso wie der deutsche - mit der Opposition in Verbindung zu treten. „Darüber muß man nachdenken“, sagte Trotzki. Nach einigen Tagen beauftragte er Rakowski, die „Verbindung mit dem britischen Geheimdienst herzustellen“.

Hauptmann Reilly schrieb während der Vorbereitung seines letzten Coups gegen Rußland an seine Frau: „In Rußland ist tatsächlich etwas ganz Neues, Starkes und Bemerkenswertes im Gange.“ Er hatte damals von seinem Agenten, dem englischen Konsulatsbeamten Commander E., Nachrichten über die Fühlungnahme mit der Oppositionsbewegung erhalten. Aber im Herbst wurde er bei dem Versuch, auf sowjetischem Gebiet mit Führern der Opposition zusammenzutreffen, von einer russischen Grenzwache erschossen.

Wenige Monate nach Reillys Tod begann Trotzki, wie er später in „Mein Leben“ schrieb, an einer „mysteriösen fieberhaften Erkrankung“ zu leiden. Da „die Moskauer Ärzte nicht imstande waren, die Ursache der Krankheit festzustellen“, beschloß Trotzki, nach Deutschland zu fahren.

In Berlin begab sich Trotzki in eine „Privatklinik“; dort besuchte ihn Nikolai Krestinski, der die Verbindung mit dem deutschen Geheimdienst herstellte. Eines Tages, als Trotzki und Krestinski gerade wieder miteinander konferierten, erschien nach Trotzkis Bericht plötzlich ein deutscher „Polizeiinspektor“ in der Klinik; er ordnete besondere Sicherheitsmaßnahmen an, da die deutsche Geheimpolizei soeben einem Mordkomplott gegen Trotzki auf die Spur gekommen sei. Durch diesen uralten Trick wurde eine stundenlange, ungestörte Aussprache zwischen Trotzki und den Vertretern der deutschen Geheimpolizei ermöglicht…

Im Sommer dieses Jahres traf Trotzki ein neues Abkommen mit dem deutschen Geheimdienst, dessen Einzelheiten später von Krestinski bekanntgegeben wurden:

„Damals hatten wir uns bereits daran gewöhnt, regelmäßig Beträge in guter Valuta zu erhalten. … Diese Gelder wurden auf unsere verschiedenen Organisationen im Ausland verteilt und dienten der Verbreitung trotzkistischer Literatur und ähnlichen Zwecken. Im Jahr 1926, zur Zeit, als der Kampf der Trotzkisten gegen die Parteileitung den Höhepunkt erreichte, richtete Seeckt an uns die Aufforderung, ihm unsere bisher nur sporadischen Spionageberichte von nun an in regelmäßigen Abständen zu übermitteln. Außerdem sollte die trotzkistische Organisation sich dafür verbürgen, daß eine künftige trotzkistische Regierung, die im Falle eines neuerlichen Weltkrieges möglicherweise zur Macht gelangen könnte, die gerechten Forderungen der deutschen Bourgeoisie berücksichtigen würde. Es handelte sich hierbei in erster Linie um die Erteilung von Konzessionen und um sonstige Abkommen.

Trotzki ermächtigte mich, auf General Seeckts Vorschläge einzugehen. Wir beschränkten uns nicht mehr wie früher auf gelegentliche Informationen, sondern richteten einen systematischen Nachrichtendienst ein. Über das Nachkriegsabkommen wurde eine mündliche Vereinbarung getroffen.

… Die Geldzuwendungen dauerten an. Von 1923 bis 1930 erhielten wir jährlich 250000 Goldmark, insgesamt etwa 2 Millionen Goldmark.“

Nach seiner Rückkehr aus Deutschland leitete Trotzki eine Großoffensive gegen die sowjetische Führerschaft ein. „Der Kampf in der russischen Partei wurde im Jahre 1926 immer schärfer“, schreibt Trotzki in „Mein Leben“. „Im Herbst machte die Opposition in den Versammlungen der Parteizellen einen offenen Ausfall.“ Aber diese Taktik hatte keinen Erfolg. Weite Kreise der Arbeiterschaft gaben ihrer Entrüstung über die Spaltungsversuche der Trotzkisten Ausdruck. „Die Opposition“, schrieb Trotzki, „sah sich genötigt, den Rückzug anzutreten.“

Als sich die Kriegsgefahr im Sommer 1927 über Rußland zusammenzog, nahm Trotzki seine Angriffe gegen die Sowjetregierung wieder auf. Er gab in Moskau folgende Öffentliche Erklärung ab:

„Wir müssen die Taktik Clemenceaus erneuern, der sich bekanntlich zu einer Zeit, wo die Deutschen 80 Kilometer von Paris entfernt waren, gegen die französische Regierung auflehnte!“

Stalin bezeichnete Trotzki als Verräter. Er sagte: „Eine Art Einheitsfront von Chamberlain[50] bis Trotzki“ ist im Entstehen.

Auch diesmal kam es zu einer Abstimmung über Trotzki und seine Oppositionsbewegung. Eine allgemeine Diskussion ergab, daß die überwältigende Mehrheit der bolschewistischen Parteimitglieder die trotzkistische Opposition ablehnte und der Führung Stalins Gefolgschaft leistete. Das Stimmenverhältnis war 740000 zu 4000.[51]

In seiner Selbstbiographie berichtet Trotzki, daß nach dieser vernichtenden Niederlage eine fieberhafte konspirative Tätigkeit einsetzte: „An mehreren Stellen in Moskau und in Leningrad fanden geheime Versammlungen von Arbeitern, Arbeiterinnen und Studenten statt, wo zwanzig bis hundert und zweihundert Menschen zusammenkamen, um einen Vertreter der Opposition anzuhören. Im Laufe eines Tages besuchte ich zwei, drei, mitunter auch vier solcher Versammlungen … Die Opposition hatte geschickt eine große Versammlung im Saal der Technischen Hochschule vorbereitet, der von innen besetzt wurde … Störungsversuche der Verwaltung blieben erfolglos. Ich und Kamenew sprachen etwa zwei Stunden.“

Trotzki bereitete sich mit Hochdruck auf den bevorstehenden Entscheidungskampf vor. Ende Oktober war sein Entschluß gefaßt: am 7. November 1927, dem zehnten Jahrestag der Oktoberrevolution, sollte es zum Aufstand kommen. Die Führung war den entschlossensten Männern seines Anhanges, ehemaligen Mitgliedern seiner Leibgarde, anvertraut. In allen Teilen des Landes wurden Detachements für die Besetzung der strategisch wichtigen Punkte vorbereitet. Eine politische Demonstration gegen die Sowjetregierung, die während der großen Moskauer Arbeiterparade am Morgen des 7. November stattfinden sollte, war als Signal für die allgemeine Erhebung gedacht.

Trotzki bemerkte dazu später in „Mein Leben“:

„Die Kerngruppe der Opposition ging dieser Lösung mit offenen Augen entgegen. Wir wußten genau, daß wir nicht durch Paktieren und Ausweichen unsere Ideen auf die junge Generation übertragen konnten, sondern nur im offenen Kampfe, der vor keinen praktischen Folgen zurückschreckt.“

Trotzkis Aufstandsversuch brach zusammen, bevor er noch recht zur Entwicklung gekommen war. Als die Arbeiter am Morgen, des 7. November durch die Moskauer Straßen marschierten, flatterten von den Fenstern mehrstöckiger Gebäude trotzkistische Flugzettel herab, die das Erscheinen einer „neuen Führung“ ankündigten.

In den Straßen zeigten sich plötzlich kleine Gruppen mit trotzkistischen Transparenten. Sie wurden von den empörten Arbeitern verjagt.

Die Sowjetbehörden griffen rasch zu. Muralow, Smirnow, Mratschkowski und andere ehemalige Mitglieder der Trotzki-Garde wurden sofort verhaftet. Kamenew und Pjatakow wurden in Moskau festgenommen.

Regierungsagenten beschlagnahmten trotzkistische Geheimdruckereien und Munitionslager. Sinowjew und Radek wurden in Leningrad verhaftet (sie sollten dort zur gleichen Zeit einen Putsch durchführen).

Einer von Trotzkis Anhängern, der Diplomat Joffe, der früher Botschafter in Japan gewesen war, beging Selbstmord. In manchen Städten wurden die Trotzkisten in Gesellschaft von ehemaligen weißgardistischen Offizieren, sozialrevolutionären Terroristen und ausländischen Agenten angetroffen…

Trotzki wurde aus der Kommunistischen Partei ausgestoßen und in die Verbannung geschickt.

5. Alma-Ata

Trotzki wurde nach Alma-Ata, der Hauptstadt der unweit der chinesischen Grenze gelegenen Kasachischen Sowjetrepublik, verbannt. Er bewohnte mit seiner Frau Natalie und seinem Sohn Sedow ein eigenes Haus. Die Sowjetregierung, die sich über die wahre Bedeutung und Ausdehnung der trotzkistischen Verschwörung noch nicht im klaren war, behandelte Trotzki mit großer Nachsicht. Er durfte einen Teil seiner persönlichen Leibwache, darunter den ehemaligen Offizier der Roten Armee Ephraim Dreitzer, bei sich behalten. Man gestattete ihm, Privatbriefe abzusenden und zu empfangen. Er hatte eine eigene Bibliothek und ein Geheim-„Archiv“ und erhielt von Zeit zu Zeit den Besuch von. Freunden und Bewunderern.

Trotzki setzte seine konspirativen Umtriebe auch in der Verbannung fort…

Der geschickteste Taktiker unter den Trotzkisten, der Diplomat und deutsche Agent Nikolai Krestinski, legte am 27. November 1927 in einem vertraulichen Sehreiben an Trotzki die Richtlinien für die nächsten Jahre fest.

Die trotzkistische Opposition, schrieb Krestinski, dürfe unter keinen Umständen versuchen, die offene Agitation gegen die Sowjetregierung fortzusetzen. Die Trotzkisten müßten sich vielmehr um die Wiederaufnahme in die Partei bemühen, um neuerlich Schlüsselstellungen in der Sowjetregierung zu erlangen und den Kampf um die Macht innerhalb des Regierungsapparates fortzusetzen.

Die Trotzkisten, meinte Krestinski, sollten bestrebt sein, „langsam und schrittweise durch unermüdliche Arbeit im Rahmen der Partei und des Sowjetapparates das Zutrauen der Massen zu gewinnen und den früheren Einfluß wiederzuerlangen.“

Diese schlaue Taktik leuchtete Trotzki ein. Krestinski enthüllte später, daß Trotzki seinen verhafteten und verbannten Anhängern schon nach kurzer Zeit die Anweisung gab, „sich mit Hilfe falscher Angaben wieder in die Partei einzuschleichen“, „unsere Tätigkeit im geheimen, fortzuführen“ und „sich mehr oder weniger unabhängige, verantwortliche Posten zu sichern“.

Pjatakow, Radek, Sinowjew, Kamenew und andere in der Verbannung lebende Mitglieder der Opposition sagten sich plötzlich von Trotzki los; sie sprachen von dem „tragischen Irrtum“ ihrer Vergangenheit und suchten um Wiederaufnahme in die Kommunistische Partei an.

In Trotzkis Haus in Alma-Ata liefen die Fäden der sowjetfeindlichen Intrigen zusammen.

„Die ideologischen Auseinandersetzungen innerhalb der Opposition waren damals außerordentlich heftig“, schrieb Trotzki später in seiner Flugschrift „Leo Sedow: Sohn, Freund und Kämpfer“. Von seinem Exil aus leitete Trotzki eine geheime Propagandaorganisation und Sabotagetätigkeit gegen die Sowjetregierung.[52]

Der geheime Nachrichtendienst, durch den Trotzki die Verbindung mit seinen eigenen Anhängern und anderen Oppositionsgruppen des Landes aufrechterhielt, war der Obhut seines Sohnes Leo Sedow anvertraut. Sedow, der mit einigen zwanzig Jahren bereits alle Künste der konspirativen Technik beherrschte, stellte seine fanatische Ergebenheit in den Dienst der Oppositionsbewegung, wobei ihn das egoistische, diktatorische Benehmen seines Vaters mit Erbitterung und Gehässigkeit erfüllte.

An die hundert Geheimbotschaften gingen allwöchentlich durch Sedows Hände. Außerdem schickte Trotzki große Mengen von Propagandamaterial und persönlichen Briefen ab. Viele dieser Schreiben enthielten „Direktiven“ für seine Anhänger und sowjetfeindliche Propaganda. „Von April bis Oktober (1928)“, konnte sich Trotzki rühmen, „erhielten wir rund tausend politische Briefe und etwa 700 Telegramme. In der gleichen Zeit sandten wir 500 Telegramme und nicht weniger als 800 politische Briefe ab …“

Im Dezember 1928 erschien in Alma-Ata ein Bevollmächtigter der Sowjetregierung. Nach dem in „Mein Leben“ enthaltenen Bericht erklärte er Trotzki: „Die Arbeit Ihrer Gesinnungsgenossen im Lande hat in der letzten Zeit einen offen konterrevolutionären Charakter angenommen; Ihre Lebensbedingungen in Alma-Ata geben Ihnen die Möglichkeit, diese Arbeit zu leiten.“ Die Sowjetregierung fordere die Einstellung dieser aufrührerischen Umtriebe. Sollte Trotzki sein Versprechen nicht halten, so werde die Regierung sich gezwungen sehen, ihn ohne weitere Rücksichtnahme als Verräter zu behandeln. Trotzki lehnte es ab, dieser Warnung Beachtung zu schenken. Sein Fall wurde jetzt von dem Sonderkollegium der GPU in Moskau aufgenommen.

In der Nummer 41 der „Prawda“ vom 19. Februar 1929 wurde folgende TASS-Meldung veröffentlicht:

„L. D. Trotzki wurde auf Anordnung des Sonderkollegiums der GPU wegen antisowjetischer Tätigkeit aus der UdSSR ausgewiesen. Seinem Wunsche entsprechend, ist seine Familie mit ihm abgereist.“

Trotzki war formell aus der Sowjetunion ausgewiesen. Damit begann die merkwürdigste Phase seines Lebens.

„Verbannung bedeutet im allgemeinen Abtreten von der Bühne. Im Fall Trotzki trat das Gegenteil ein“, schrieb später Isaac P. Marcosson in seinem Buch „Turbulent Years“ - „Solange er innerhalb der Sowjetgrenzen lebte, glich er einer menschlichen Hornisse, aber auch jetzt, aus einer Entfernung von vielen tausend Kilometern, ist sein Stachel kaum minder wirksam. Aus der Ferne wirkend, wurde er zum Erzfeind Rußlands. Dieser Meister der Demagogie lebte in einer abenteuerlichen Atmosphäre nationaler und internationaler Konspiration. Er gleicht einer Figur aus einem Kriminalroman.“


ANMERKUNGEN

  1. Nachfolgend eine chronologische Zusammenstellung von Äußerungen Lenins über Trotzki und die Rolle, die Trotzki in der revolutionären Bewegung Rußlands spielte.

    1911
    „Im Jahre 1903 war Trotzki Menschewik; 1904 trennte er sich von den Menschewiki; 1905 kehrte er wieder zu ihnen zurück und paradierte mit ultrarevolutionären Phrasen, bis er ihnen 1906 wieder den Rücken kehrte... Trotzki schmarotzt heute auf den Ideen der einen Gruppe, morgen auf denen der anderen und bildet sich ein, beiden überlegen zu sein... Ich kann nur sagen, daß Trotzki ausschließlich seine eigene Gruppe repräsentiert.“

    1911
    „Leute wie Trotzki, die marktschreierische Phrasen von sich geben ... sind die Krankheit unserer Zeit... Jedermann, der Trotzkis Grüppchen unterstützt, unterstützt die Politik der Lüge und des Betrugs an den Arbeitern. Die Aufgabe Trotzkis besteht eben darin... den Arbeitern Sand in die Augen zu streuen ... Mit Trotzki kann man nicht prinzipiell diskutieren, denn er hat keinerlei Ansichten... Wir können ihn nur als Diplomaten aller niedrigster Sorte bezeichnen.“

    1912
    „Dieser Block besteht aus Mangel an Grundsätzen, Scheinheiligkeit und leeren Phrasen... Trotzki bemäntelt sie mit revolutionären Phrasen, die ihn nichts kosten und ihn in keiner Weise binden.“

    1914
    „Die alten Teilnehmer an der marxistischen Bewegung in Rußland kennen die Figur Trotzkis genau, und für sie lohnt es nicht, von ihr zu sprechen. Aber die junge Arbeitergeneration kennt sie nicht, und man muß von ihr sprechen... Derartige Typen sind charakteristisch als Trümmer geschichtlicher Gestaltungen und Formationen von gestern, wo die proletarische Massenbewegung in Rußland noch schlief....“

    „Noch niemals, noch in keiner ernsthaften Frage des Marxismus hatte Trotzki feste Meinungen, immer kroch er in die Risse und Spalte dieser oder jener Meinungsdifferenzen und lief dabei von einer Seite auf die andere.“

    1915
    „Trotzki... ist wie stets im Prinzip ganz anderer Ansicht als die Sozialchauvinisten, aber in der Praxis ist er mit ihnen, in allen Punkten einig.“

  2. Trotzki traf erst zwei Monate vor dem Sturz der Zarenregierung in den Vereinigten Staaten ein, nachdem er im Herbst 1916 aus Frankreich ausgewiesen worden war. Bucharin, der von Österreich gekommen war, befand sich schon vor ihm in Amerika.

  3. Bruce Lockhart äußert in seinen Memoiren „British Agent“ die Ansicht, daß die britische Regierung Trotzki gegenüber einen schweren Fehler beging. „Die Behandlung, die wir Trotzki angedeihen ließen, war sehr unklug. Wahrend der ersten Revolution hielt er sich in Amerika auf. Er war damals weder Menschewik noch Bolschewik. Er war das, was Lenin unter Trotzkist verstand: ein Individualist und Opportunist. Ein solcher Mensch kann nie ein guter Parteimann werden, und Trotzki ist es auch nie gewesen. Sein Verhalten vor der ersten Revolution hatte Lenins schärfste Mißbilligung gefunden ... Im Frühjahr 1917 ersuchte Kerenski die britische Regierung, Trotzki die Rückkehr nach Rußland zu ermöglichen ... Unser Verhalten war wie stets, wenn es sich um Rußland handelt, durch eine verhängnisvolle Halbheit gekennzeichnet. Trotzki wurde wie ein Verbrecher behandelt. In Halifax wurde er in einem Gefangenenlager interniert... Erst nachdem wir uns bei ihm gründlich verhaßt gemacht hatten, gestatteten wir ihm die Rückkehr nach Rußland.“

  4. Über Trotzkis oppositionelles Verhalten während der Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk siehe II. Kapitel.

    Nachdem Trotzkis Ernennung zum Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten rückgängig gemacht worden war, bezeichnete er sein Verhalten in Brest-Litowsk öffentlich als Irrtum und bot Lenin neuerlich seine vorbehaltlose Mitarbeit an. Trotzki erhielt einen neuen Posten, er wurde Kriegskommissar. Die militärische und praktische Leitung der Roten Armee lag vorwiegend in den Händen von Männern wie Stalin, Frunse, Woroschilow, Kirow, Schtschors und Budjonny. Trotzki, der sich als Kriegskommissar mit Vorliebe auf den Rat einiger „Spezialisten“ des alten Zarenreiches verließ, brachte sich wiederholt in Gegensatz zu militärischen Entscheidungen des Zentralkomitees und machte sich offenkundiger Überschreitungen seiner Machtbefugnisse schuldig. In mehreren Fällen konnte Trotzki nur durch das direkte Eingreifen des Zentralkomitees daran gehindert werden, führende bolschewistische Militärs, die gegen sein eigenmächtiges Verhalten an der Front Einspruch erhoben hatten, hinrichten zu lassen.

    Im Sommer 1919 schlug Trotzki mit der Begründung, daß Koltschak keine Bedrohung im Osten mehr darstelle, vor, die Kräfte der Roten Armee für den Kampf gegen Denikin nach dem Süden abzuziehen. Stalin wies darauf hin, daß man damit nur Koltschak die für die Neuorganisierung und Aufrüstung seiner Armee und die Vorbereitung einer neuen Offensive notwendige Atempause geben würde. Stalin erklärte als militärischer Vertreter des Zentralkomitees: „Der Ural mit seinen Fabriken und seinem Eisenbahnnetz darf Koltschak nicht in die Hände fallen, da er mit Leichtigkeit die dortigen Großbauern für sich gewinnen und gegen die Wolga vorstoßen könnte.“ Trotzkis Plan wurde vom Zentralkomitee abgelehnt, und er nahm an der Ostkampagne, die zur endgültigen Niederlage Koltschaks führte, nicht mehr teil.

    Im Herbst 1919 entwarf Trotzki einen Feldzugsplan gegen Denikin, der einen Marsch durch die Donsteppen vorsah, eine fast weglose Gegend, in der es von gegenrevolutionären Kosakenbanden wimmelte. Stalin, der vom Zentralkomitee an die Südfront entsandt worden war, schlug statt dessen einen Vormarsch der Roten Armee durch das Donezbecken vor, in dem es ein dichtes Eisenbahnnetz, Kohlen Vorräte und eine sympathisierende Arbeiterbevölkerung gab. Stalins Plan wurde vom Zentralkomitee angenommen. Trotzki wurde von der Südfront abberufen. Er erhielt den „Rat“, sich in die Operationen im Süden nicht einzumischen und die Demarkationslinie der Südfront nicht zu überschreiten. Stalins Plan kam zur Ausführung, Denikin wurde besiegt.

    Zu den engsten Vertrauten des Kriegskommissars gehörte der ehemalige zaristische Offizier Oberst Vazetis, der während der Kämpfe gegen Koltschak als Oberkommandierender gleichzeitig mit Trotzki an der Ostfront weilte. Die Sowjetbehörden entdeckten, daß Vazetis in Intrigen gegen die eigene Heeresleitung verwickelt war. Er wurde von seinem Posten entfernt. In „Mein Leben“ bringt Trotzki merkwürdige Argumente zur Verteidigung seines ehemaligen Kollegen vor: „Vazetis erließ in Augenblicken der Begeisterung Dekrete, ohne dabei an die Existenz des Rates der Volkskommissare und des Allrussischen Zentralexekutivkomitees zu denken. Etwa ein Jahr später wurde Vazetis irgendwelcher verdächtiger Absichten und Verbindungen beschuldigt, so daß man ihn absetzen mußte. Jedoch nichts Ernstes hatte sich hinter diesen Beschuldigungen verborgen. Es ist möglich, daß er vor dem Einschlafen in der Biographie Napoleons geblättert und jungen Offizieren gegenüber einige unbescheidene Gedanken geäußert hatte.“

  5. Im April 1937 äußerte sich Trotzki folgendermaßen über seine Verbindung mit dem Mörder Blumkin: „Während des Krieges gehörte er meinem Militärsekretariat an und stand mit mir in persönlichem Kontakt ... Er hatte eine ungewöhnliche Vergangenheit. Er war Mitglied der Linken Opposition der Sozialrevolutionäre gewesen und hatte an dem Aufstand gegen die Bolschewiki teilgenommen. Er ist der Mann, der den deutschen Botschafter Mirbach tötete... Ich verwendet ihn in meinem Militärsekretariat, und auch sonst stand mir Blumkin stets zur Verfügung, wenn ich einen mutigen Mann brauchte.“

  6. Sämtliche im III. Buch enthaltenen Zitate und Dialoge, die sich auf die illegale Tätigkeit der Trotzkisten innerhalb von Rußland beziehen, sind - wenn im Text nichts Gegenteiliges bemerkt ist - den Zeugenaussagen entnommen, die während der Prozesse vor dem Militärkollegium des Obersten Gerichtshof der UdSSR in Moskau im August 1936, Januar 1937 und März 1938 gemacht wurden. Dialoge und Ereignisse, an denen Trotzki und sein Sohn Sedow direkt beteiligt sind, entstammen - wenn nichts Gegenteiliges vermerkt ist - den Aussagen der in diesen Prozessen angeklagten Personen.

  7. Diese Erklärung gab Rakowski während der Zeugenvernehmung vor dem Militärkollegium des Obersten Gerichtshofes der UdSSR im März 1938 ab. In der Zeit, von der Rakowski spricht, das heißt, in den zwanziger Jahren, war der amerikanische Schriftsteller und Journalist Max Eastman Trotzkis offizieller Übersetzer und einer der wichtigsten Verbreiter trotzkistischer Propaganda in den Vereinigten Staaten. Eastman war der erste, der das sogenannte „Lenin-Testament“ veröffentlichte, ein angeblich authentisches Dokument aus dem Jahr 1923.

    Trotzki gab zu, daß Lenin kein Testament hinterlassen hatte. In einem Brief an den „New York Daily Worker“ vom 8. August 1925 schrieb er: „Lenin hat kein Testament hinterlassen. Sowohl der Charakter seiner Beziehung zur Partei wie der Charakter der Partei selbst machen ein solches ‚Testament’ völlig unmöglich.“

    Die Presse der Emigration, der ausländischen Bourgeoisie und der Menschewiki hat immer wieder einen (völlig verstümmelten) Brief Lenins, der eine Anzahl von Ratschlägen über organisatorische Fragen enthält, fälschlich in der Form eines ‚Testaments’ veröffentlicht. Alles Gerede über die Geheimhaltung und Übertretung eines ‚Testaments’ ist böswillige Erfindung, die sich gegen die wahren Absichten Lenins und die Interessen der von ihm geschaffenen Partei richtet.“ Trotzdem zitieren die trotzkistischen Propagandisten das Testament Lenins bis heute (Anmerkung aus den Jahr 2006 - „bis heute“ ist nach wie vor gültig!) als authentisches Dokument, in dem Lenin Trotzki zu seinem Nachfolger bestimmte.

  8. Der damals amtierende englische Außenminister, ein erbitterter Feind der Sowjetunion.

  9. Die Opposition brachte es im Verlauf ihrer Agitation nie zu einer höheren Stimmenzahl als 4000. Obwohl die Partei die Bildung von „Fraktionen“ untersagte und offiziell auf der revolutionären Einheit als der Grundlage der sowjetischen Innenpolitik bestand, gewährte die Sowjetregierung der trotzkistischen Opposition ein erstaunliches Maß von Rede- und Versammlungsfreiheit. Besonders in der Zeit nach Lenins Tod, als das Land eine innen- und außenpolitische Krise durchmachte, war es Trotzki möglich, diese Lage auszunützen, um seine Gruppe zu einer Massenbewegung auszubauen. Die Opposition spielte in ihrer öffentlichen Propaganda jedes nur denkbare politische Argument gegen das Sowjetregime aus. Die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Stalinverwaltung wurde ständig kritisiert. Die trotzkistische Agitation wurde trotzdem erst von dem Augenblick an unterdrückt, wo ihre Sowjetfeindlichkeit und die Verbindung mit anderen sowjetfeindlichen Kräften einwandfrei erwiesen war.

  10. In Trotzkis Abwesenheit übernahm Nikolai Bucharin vorübergehend die Verantwortung für die Führung der noch vorhandenen oppositionellen Kräfte. Bucharin war in einen gewissen Gegensatz zu Trotzki geraten und hatte klugerweise jede offene Beteiligung an dem mißglückten Putschversuch vermieden. Er betrachtete nicht Trotzki, sondern sich selbst als den wahren Führer und Theoretiker der Opposition. Er leitete in Moskau das „Institut für Rote Professoren“ und umgab sich mit einer Anzahl von „Kaders“ - wie er sie nannte -, die aus jungen Studenten zusammengesetzt waren. Bucharin unterrichtete einen Teil dieser Studenten in der Technik der Konspiration. Er unterhielt auch Beziehungen zu den Intellektuellen der technischen Berufe, die sich der Industrie-Partei angeschlossen hatten. Bucharin hatte sich früher als „linker Kommunist“ bezeichnet; jetzt, nach Trotzkis Niederlage, begann er, die Grundsätze der später als „Rechtsopposition“ bekannten Bewegung zu formulieren.

    Trotzki hatte nach Bucharins Ansicht voreilig gehandelt. Er führte Trotzkis Mißerfolg vor allem darauf zurück, daß dieser nicht in Übereinstimmung mit allen anderen im Lande wirksamen sowjetfeindlichen Kräften vorgegangen war. Bucharin unternahm nun den Versuch, diesen Fehler durch seine Rechtsopposition gutzumachen. Die Ächtung der Trotzkisten war vollzogen, und der erste Fünfjahresplan sollte zu voller Wirksamkeit gebracht werden. Das Land litt unter neuen Entbehrungen, Schwierigkeiten und inneren Spannungen. Bucharin organisierte gemeinsam mit dem Regierungsbeamten Alexei Rykow und dem Gewerkschaftsführer Tomski sowie in geheimer Zusammenarbeit mit den Agenten der Torgprom und den Menschewiki eine Rechtsopposition innerhalb der Kommunistischen Partei. Die Grundlage der Rechtsopposition war der offene Widerspruch gegen den Fünfjahresplan. Aber hinter den Kulissen, in geheimen Zusammenkünften mit Trotzkis Vertretern und Agenten der anderen illegalen Organisationen, formulierte Bucharin das wahre Programm der „Rechtsopposition“.

    Bucharin erklärte später: „Mein Programm würde auf wirtschaftlichem Gebiet praktisch auf folgende Punkte hinauslaufen: Staatskapitalismus, das Wohlergehen des einzelnen Muschiks, Einschränkung der Kollektivwirtschaften, Konzessionen für das Ausland, Aufgabe des Außenhandelsmonopols, mit einem Wort, die ‚Wiederherstellung des Kapitalismus in Rußland’... Unser Programm innerhalb des Landes (war) die Blockbildung mit den Menschewiki, Sozialrevolutionären und der gleichen... Politisch gesehen ein Zurückgreifen auf Methoden, die zweifellos Elemente des Zarentums... und des Faschismus... enthalten.“

    Bucharin gewann durch die neue politische Linie seiner Opposition Anhänger aus den Reihen der Streber unter den höheren Beamten, die nicht an den Erfolg des Fünf jahresplanes glaubten. Die Führer der Kulaken-Organisationen, die sich der Kollektivierung mit Erbitterung widersetzten, verschafften der Rechtsopposition Bucharins jene Massenbasis, um die sich Trotzki immer vergeblich bemüht hatte. Trotzki war zuerst darüber verstimmt, daß Bucharin die Führung der von ihm gegründeten Bewegung an sich gerissen hatte; nach einer kurzen Zeit der Rivalität, die sich bis zum offenen Kampf steigerte, wurden die Gegensätze beigelegt. Die öffentliche, „legale“ Phase der Rechtsopposition dauerte bis zum November 1929; damals wurde in einer Plenarversammlung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei erklärt, daß die Verbreitung der Anschauungen der Rechtsopposition mit der Parteizugehörigkeit unvereinbar sei. Bucharin, Rykow und Tomski wurden aua ihren hohen Stellungen entfernt.

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