Die große Verschwörung

Drittes Buch - Die fünfte Kolonne in Rußland

XVI. DIE GEBURT EINER FÜNFTEN KOLONNE

1. Trotzki auf Elba

Am 13. Februar 1929 traf Leo Trotzki in Konstantinopel ein. Die Schlagzeilen der Weltpresse meldeten seine Ankunft. Auf dem Kai warteten die Korrespondenten der ausländischen Zeitungen auf das Erscheinen seines Privatmotorbootes. Trotzki würdigte sie keines Blickes, sondern eilte mit raschen Schritten auf ein Auto zu, das für ihn bereitstand. Der Chauffeur war ein Mitglied seiner Leibgarde. Trotzki wurde sofort in die schon vor seinem Eintreffen für ihn vorbereitete Privatwohnung gebracht.

Trotzkis Anwesenheit in der Türkei entfesselte ein politisches Gewitter. Die sowjetfreundlichen Kreise des Landes forderten seine Ausweisung; die Vertreter der antisowjetischen Richtung hießen ihn als Feind der Sowjetregierung willkommen. Die türkische Regierung enthielt sich jeder Stellungnahme. Man sprach davon, daß das Verbleiben Trotzkis in der Türkei, nahe der sowjetischen Grenze, von gewisser Seite unter Anwendung von diplomatischen Druckmitteln gefordert wurde. Schließlich kam ein Kompromiß zustande. Trotzki blieb in der Türkei und doch nicht in der Türkei. Man beschloß, dem verbannten „Roten Napoleon“ auf der türkischen Insel Prinkipo Asyl zu gewähren. Einige Wochen später übersiedelte er mit seiner Frau, seinem Sohn und einem Teil seiner Leibwache…

Auf Prinkipo, der malerischen Schwarzmeerinsel, die Woodrow Wilson einst als Sitz einer Friedenskonferenz zwischen den Alliierten und den Sowjets vorgeschwebt hatte, errichtete Trotzki sein neues politisches Hauptquartier. Leo Sedow wurde sein erster Adjutant und Stellvertreter. Trotzki schrieb später: „Inzwischen war es gelungen, in Prinkipo in enger Zusammenarbeit mit meinem Sohn eine neue Gruppe junger Mitarbeiter aus den verschiedensten Ländern heranzubilden.“ In dem kleinen Haus, das Trotzki bewohnte, herrschte eine seltsam erregte Atmosphäre. Man ahnte Geheimnisse und Intrigen. Das Haus wurde von einer bewaffneten Leibgarde und Polizeihunden bewacht. Drinnen wimmelte es von radikalen Abenteurern aus Rußland, Deutschland, Spanien und anderen Ländern, die Trotzki nach Prinkipo gefolgt waren. Er nannte sie seine „Sekretäre“. Diese Leute bildeten eine neue Trotzki-Garde. Trotzki empfing zahllose Besucher: sowjetfeindliche Propagandisten, Politiker, Journalisten, persönliche Verehrer und zukünftige „Weltrevolutionäre“. In der von Mitgliedern der Leibwache behüteten Bibliothek seines Hauses hielt Trotzki Beratungen mit kommunistischen oder sozialistischen Renegaten aller Schattierungen ab. Von Zeit zu Zeit trafen Spionageagenten und andere mysteriöse Persönlichkeiten ein, die unter besonders geheimnisvollen Umständen mit Trotzki konferierten.

Die bewaffnete Leibgarde stand anfangs unter dem Kommando des sozialrevolutionären Mörders Blumkin, der Trotzki seit dem Beginn der zwanziger Jahre mit hündischer Ergebenheit überallhin gefolgt war. Ende 1930 wurde er von Trotzki nach Sowjetrußland geschickt, um dort einen besonderen Auftrag auszuführen. Blumkin wurde von den sowjetischen Sicherheitsorganen verhaftet und dem Gericht übergeben. Er wurde wegen Waffenschmuggel und Einführung sowjetfeindlicher Propagandaliteratur zum Tode verurteilt und erschossen. An die Spitze der Leibwache von Prinkipo traten der Franzose Raymond Molinier und der Amerikaner Sheldon Harte.

Trotzkis ganzer Ehrgeiz war darauf gerichtet, in der Verbannung auch weiterhin als der „große Revolutionär“ zu gelten. Er hatte das fünfzigste Lebensjahr erreicht. Seine stämmige, ein wenig verkrümmte Gestalt war rundlich und schwammig geworden. Der berühmte Haarbusch und der kleine Spitzbart waren grau. Aber aus seinen Gesten sprach noch immer die gleiche Heftigkeit und Ungeduld. Die scharfe Nase, die dunklen Augen, die durch die Gläser eines altmodischen Pincenez blickten, gaben seinen düsteren, beweglichen Zügen einen merkwürdig boshaften Ausdruck. Viele fühlten sich durch sein „mephistophelisches“ Aussehen abgestoßen.

Trotzki arbeitete systematisch an der Erhaltung seines Renommees. Nichts blieb dem Zufall überlassen. Er zitierte gerne die Worte des französischen Anarchisten Proudhon: „Schicksal o das Wort macht mich lachen. Und die Menschen - sie sind viel zu unwissend und versklavt, als daß ich mich über sie ärgern könnte.“ Wenn ein wichtiger Besucher um ein Interview ansuchte, probte er vorher seine Rolle bis in alle Einzelheiten. Er studierte sogar vor einem Spiegel in seinem Schlafzimmer wirkungsvolle Posen ein. Die Journalisten, die nach Prinkipo kamen, durften ihre Artikel erst veröffentlichen, wenn sie von Trotzki genehmigt waren. Die Unterhaltung spielte sich in der Form ab, daß Trotzki in endlosem Redestrom dogmatische Behauptungen und beleidigende Äußerungen gegen die Sowjetunion zum besten gab, wobei er wie ein Versammlungsredner jeden Satz durch eindringliche, theatralische Gesten unterstrich.

Kurze Zeit, nachdem Trotzki sich in Prinkipo niedergelassen hatte, wurde er von dem liberalen deutschen Schriftsteller Emil Ludwig interviewt. Trotzki war damals in optimistischer Stimmung. Er erklärte Ludwig, daß Rußland sich in einer Krise befinde. Der Fünfjahresplan sei ein Versager. Die Arbeitslosigkeit sei im Zunehmen, der Niedergang der Wirtschaft und Industrie stehe bevor; das Programm der landwirtschaftlichen Kollektivierung sei eine Utopie.

„Wie groß ist Ihr Anhang in Rußland?“ fragte Ludwig.

Trotzki wurde plötzlich zurückhaltend. „Es ist schwer zu sagen“, meinte er mit einer vagen Geste der wohlgepflegten weißen Hand. Seine Anhänger seien im Lande „verstreut“ und auf illegale, „unterirdische“ Arbeit beschränkt.

„Wann glauben Sie wieder zum offenen Kampf übergehen zu können?“

Trotzki antwortete nach einiger Überlegung: „Sobald sich durch ein äußeres Ereignis eine günstige Gelegenheit ergibt. Vielleicht durch einen Krieg oder eine neuerliche europäische Intervention, wenn die Schwäche der Regierung als Antrieb wirkt!“

Winston Churchill, der die Entwicklungsphasen des internationalen Kampfes gegen die Sowjets mit unvermindertem, leidenschaftlichem Interesse verfolgte, widmete dem Verbannten von Prinkipo eine besondere Skizze. „Ich habe Trotzki nie leiden können“, erklärte er im Jahre 1944. Aber der Hasardeur Trotzki mit seiner dämonischen Energie entsprach Churchills abenteuerlichem Temperament. In „Great Contemporaries“ definierte er mit wenigen Worten das Ziel, auf das Trotzkis konspirative Tätigkeit seit dem Augenblick seiner Verbannung aus Sowjetrußland gerichtet war:

„Trotzki… ist bestrebt, die europäische Unterwelt für den Kampf gegen die russische Armee zu einigen.“

Auch der amerikanische Journalist John Günther suchte Trotzki um diese Zeit in seinem Hauptquartier in Prinkipo auf. Er hatte Gelegenheit, mit Trotzki und einigen seiner russischen und europäischen Mitkämpfer zu sprechen. Günther berichtete:

„Die trotzkistische Bewegung hat sich fast über ganz Europa ausgebreitet. In jedem Land gibt es eine Kerntruppe trotzkistischer Agitatoren, die ihre Orders direkt aus Prinkipo erhalten. Die verschiedenen Gruppen stehen miteinander in Verbindung, teils durch die von ihnen herausgegebenen Publikationen und Manifeste, vor allem aber durch den Austausch von Privatbriefen. Die verschiedenen Zentralkomitees sind einem internationalen Hauptquartier angeschlossen, das seinen Sitz in Berlin hat.“

Günther versuchte, Trotzki zu einer Äußerung über die Ziele und die Tätigkeit der Vierten Internationale zu veranlassen. Aber Trotzki war sehr zurückhaltend, sobald das Gespräch sich diesem Thema zuwandte. In einem Augenblick der Aufgeschlossenheit zeigte er Günther eine Anzahl „hohler Bücher“, in denen Geheimdokumente verborgen und versandt wurden. Trotzki gab seiner Genugtuung über die Tätigkeit Andreas Nins in Spanien Ausdruck.[53] Auch in den Vereinigten Staaten hatte er Anhänger und einflußreiche Freunde. Er erzählte, daß in Frankreich, Norwegen und der Tschechoslowakei trotzkistische Zellen im Entstehen seien. Ihre Arbeit gehe in „halber Illegalität“ vor sich…

Günther schrieb, daß Trotzki „Rußland zumindest vorübergehend verloren“ habe. „Niemand kann wissen, ob er es vielleicht in zehn oder zwanzig Jahren wiedergewinnen wird.“ Es sei Trotzkis Hauptziel, „durchzuhalten und mit unermüdlicher Energie an der Vervollkommnung seiner antikommunistischen Organisation im Ausland zu arbeiten“.

In den Jahren 1930/31 baute Trotzki von Prinkipo aus einen antisowjetischen Propagandaapparat auf. Es war eine ganz neue Art der Propaganda, raffiniert und verwirrend und den bisherigen Methoden der antibolschewistischen Kreuzfahrer unendlich überlegen.

Die Zeiten hatten sich geändert. Seid der großen Wirtschaftskrise dachte die ganze Menschheit revolutionär - zumindest insofern, als niemand eine Rückkehr zu den Lebensformen der Vergangenheit wünschte, die so viel Elend und Leiden heraufbeschworen hatten. Die faschistische Gegenrevolution war in ihren Anfängen von ihrem Urheber, dem ehemaligen Sozialisten Benito Mussolini, wirkungsvoll als „Italienische Revolution“ aufgezogen worden. In Deutschland gewannen die Nazis ihren Massenanhang nicht nur durch die Werbung der antibolschewistischen Reaktion, sondern auch indem sie sich den deutschen Arbeitern und Bauern als „National-Sozialisten“ vorstellten. Schon im Jahre 1903 hatte sich Trotzki einer Propagandamethode bedient, die Lenin als „ultrarevolutionäre Schlagworte, die nichts kosten“, charakterisierte.

Jetzt brachte Trotzki dieselbe Propagandatechnik, die er ursprünglich gegen Lenin und die bolschewistische Partei, benutzt hatte, in internationalem Maßstab zur Anwendung. In zahllosen Artikeln, Büchern, Pamphleten und Reden begann Trotzki in einer ausfälligen, linksradikalen Sprache die Sowjetregierung anzugreifen und ihre gewaltsame Beseitigung zu fordern - nicht etwa wegen ihrer revolutionären Haltung, sondern weil sie „gegenrevolutionär“ und „reaktionär“ sei.

Viele alte antibolschewistische Kämpfer verließen über Nacht die frühere zarenfreundliche, unmißverständlich gegenrevolutionäre Propagandalinie und paßten sich der neuen trotzkistischen Methode an, die russische Revolution „von links“ anzugreifen.

Das erste größere Propagandawerk, in dem Trotzki diese neue Taktik der internationalen Gegenrevolution anwandte, war seine pathetische, zur Hälfte erdichtete Selbstbiographie „Mein Leben“, die bereits als Artikelserie in europäischen und amerikanischen Zeitungen erschienen war. Die Veröffentlichung in Buchform zielte darauf ab, Stalin und die Sowjetunion herabzusetzen, das Ansehen der trotzkistischen Bewegung zu erhöhen und die Legende von Trotzki, dem „Weltrevolutionär“, zu konsolidieren. Trotzki schilderte sich selbst als den wahren Inspirator und Organisator der russischen Revolution, der durch seine Gegner von dem ihm zukommenden Führerplatz verdrängt worden sei.

Sowjetfeindliche Agenten und Publizisten verhalfen dem Buch, das nach ihrer Behauptung Enthüllungen über die wahren Hintergründe der russischen Revolution enthielt, durch marktschreierische Reklame in kurzer Zeit zu einem sensationellen Welterfolg.

Adolf Hitler las das Buch sofort nach seinem Erscheinen. Hitlers Biograph Konrad Heiden erzählt in seinem Buch „Der Führer“, daß Hitler seine Freunde durch begeisterte Äußerungen über Trotzkis Selbstbiographie in Staunen versetzte. „Das ist brillant!“ rief Hitler, indem er seinen Anhängern ein Exemplar von „Mein Leben“ entgegenstreckte. „Ihr könntet, ebenso wie ich, viel daraus lernen!“ Trotzkis Buch galt bei den sowjetfeindlichen Spionageorganisationen bald als Standardwerk. Man verwendete es als Lehrbuch für antisowjetische Propaganda. Die japanische Geheimpolizei zwang alle in Haft befindlichen japanischen und chinesischen Kommunisten, das Buch zu lesen; man wollte auf diese Weise ihren Kampfgeist brechen. Die Gestapo machte von Trotzkis Buch ähnlichen Gebrauch…

Mit „Mein Leben“ eröffnete Trotzki die umfangreiche Serie seiner antisowjetischen Schriften. Es folgten viele andere sowjetfeindliche Bücher, Pamphlete und Artikel. Ein Teil dieser Literatur wurde zuerst durch groß aufgemachte Vorabdrucke in den reaktionären Zeitungen Europas und Amerikas bekannt. Trotzkis „Büro“ belieferte die sowjetfeindliche Weltpresse ständig mit einer Fülle von „Enthüllungen“, „Bloßstellungen“ und „Geheiminformationen“ über Rußland.

Das offizielle „Bulletin der Opposition“ war für die Leserschaft innerhalb der Sowjetunion bestimmt. Es wurde im Ausland, zuerst in der Türkei, später in Deutschland, Frankreich, Norwegen und anderen Ländern gedruckt und von trotzkistischen Geheimkurieren über die russische Grenze geschmuggelt. Das Bulletin wandte sich nicht an die sowjetischen Massen. Es war für die Diplomaten, Staatsbeamten, Militärs und Intellektuellen gedacht, die Trotzki früher einmal Gefolgschaft geleistet hatten oder dem Einfluß der trotzkistischen Bewegung zugänglich schienen. Das Bulletin enthielt auch Anweisungen für die Propagandaarbeit der Trotzkisten innerhalb und außerhalb Rußlands. Es prophezeite in endlosen, düsteren Schilderungen den bevorstehenden Niedergang des Sowjetregimes, kündigte Wirtschaftskrisen und neue Bürgerkriege an und sagte voraus, daß die Rote Armee beim ersten Angriffsversuch des Auslandes zusammenbrechen würde. Das Bulletin bestärkte die unsicheren, unklaren und unzufriedenen Elemente, die den ungeheuren Spannungen und Härten der Aufbauperiode nicht gewachsen waren, mit großem Geschick in ihren Zweifeln und Befürchtungen. Das Bulletin forderte diese Kreise offen zum Widerstand und zu Gewalttaten gegen die Sowjetregierung auf.

Hier folgen einige typische Beispiele aus der in der ganzen Welt verbreiteten antisowjetischen Propagandaliteratur, in der Trotzki immer wieder zur gewalttätigen Beseitigung des Sowjetregimes aufrief:

„Die erste soziale Erschütterung, sei es von außen oder innen, kann die zerstückelte sowjetische Gesellschaft in einen Bürgerkrieg hineinreißen.“ (Die Sowjetunion und die Vierte Internationale, 1933.)

„Die politischen Einzelkrisen laufen zu der allgemeinen Krise zusammen, die sich unbemerkt nähert.“ (Die Ermordung Kirows, 1935.)

„Können wir erwarten, daß die Sowjetunion aus dem kommenden großen Krieg unbesiegt hervorgehen wird? Auf diese offene Frage wollen wir ebenso offen antworten, wenn der Krieg nicht zu anderweitigen Entwicklungen führt, dann ist die Niederlage der Sowjetunion unvermeidlich. In technischer, wirtschaftlicher und militärischer Hinsicht ist der Imperialismus unvergleichlich stärker. Der Imperialismus wird, falls seine Kräfte nicht durch eine Revolution im Westen lahmgelegt werden, die gegenwärtige Regierung hinwegfegen.“ (Artikel im „American Mercury“, März 1937.)

„Die Niederlage der Sowjetunion ist unvermeidlich, es sei denn. daß der neue Krieg eine neue Revolution hervorruft… Aus der theoretischen Annahme eines Krieges ohne Revolution folgt zwangsweise die Niederlage der Sowjetunion.“ (Aussage bei der Vernehmung in Mexiko, April 1937.)

2. Rendezvous in Berlin

Von dem Augenblick an, wo Trotzkis Fuß ausländischen Boden betreten hatte, beraubten sich die Agenten der verschiedenen ausländischen Spionageorganisationen, mit ihm in Kontakt zu kommen und den trotzkistischen internationalen Verschwörerapparat ihren Zwecken dienstbar zu machen. Die polnische „Defensiva“, die faschistische OVRA, der finnische Spionagedienst, die weißgardistischen Emigranten, die in Rumänien, Jugoslawien und Ungarn antisowjetische Spionagezentralen unterhielten, die reaktionären Elemente des britischen Geheimdienstes, das französische „Deuxieme Bureau“ - sie alle waren bereit, mit dem „Russischen Staatsfeind Nr. l“ zu verhandeln. Man war gewillt, ihm Geldmittel, Assistenten, das Netzwerk des Spionage- und Kurierdienstes für die Aufrechterhaltung und Erweiterung seiner internationalen Propagandatätigkeit sowie für die Förderung und Neuorganisierung seines Verschwörerapparates innerhalb der Sowjetunion zur Verfügung zu stellen.

Am wichtigsten war die immer enger werdende Verbindung Trotzkis mit der von Oberst Walther Nicolai geleiteten deutschen Militärspionage (Abteilung III B).

Bis zum Jahr 1930 hatte Trotzkis Agent Krestinski von der Reichswehr als Entschädigung für das dem deutschen Geheimdienst von den Trotzkisten zur Verfügung gestellte Spionagematerial etwa zwei Millionen Goldmark zugunsten der trotzkistischen Bewegung in Sowjetrußland erhalten. Krestinski enthüllt später:

„Von 1923 bis 1930 erhielten wir jährlich 250000 Goldmark, insgesamt etwa 2 Millionen Goldmark. Bis Ende 1927 wurden die vertraglich vorgesehenen Leistungen fast ausschließlich in Moskau erfüllt. Danach trat eine Unterbrechung der Zahlungen ein, die etwa zehn Monate, von Ende 1927 bis gegen Ende des Jahres 1928 dauerte. Ich war nach der Niederwerfung des Trotzkismus von jeder Verbindung abgeschnitten. Trotzkis weitere Pläne waren mir nicht bekannt, ich erhielt weder Nachrichten noch Instruktionen … Das ging so fort, bis ich im Oktober 1928 einen Brief Trotzkis aus dem Exil in Alma-Ata erhielt… In diesem Brief gab mir Trotzki die Weisung, das Geld von den Deutschen entgegenzunehmen und an Maslow oder Trotzkis französische Freunde (Roemer, Madeleine Paz und andere) weiterzuleiten. Ich setzte mich sofort mit General Seeckt in Verbindung, der damals bereits von seinem Posten zurückgetreten war und als Privatmann lebte. Er machte sich erbötig, Hammerstein aufzusuchen und das Geld zu besorgen. Er hielt sein Versprechen. Hammerstein war damals Generalstabschef der Reichswehr. 1930 wurde er Oberkommandierender der Reichswehr.“

1930 wurde Krestinski zum Stellvertretenden Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten ernannt und von Berlin nach Moskau versetzt. Seine Abreise aus Deutschland und die durch den Aufstieg des Nationalsozialismus hervorgerufene innere Krise der Reichswehr verursachten eine neuerliche Stockung. Aber Trotzki verhandelte damals mit dem deutschen Geheimdienst über eine Erneuerung und Erweiterung des Abkommens.

Im Februar 1931 mietete Trotzkis Sohn Leo Sedow in Berlin eine Wohnung. Aus seinem Paß ging hervor, daß er sich zu Studienzwecken in Deutschland aufhielt. Offiziell war er nach Berlin gekommen, um ein „deutsches wissenschaftliches Institut“ zu besuchen. In Wirklichkeit hatten ihn viel dringendere Geschäfte in die deutsche Hauptstadt geführt.

Einige Monate vorher war Trotzkis Flugschrift „Deutschland: der Schlüssel zur internationalen Lage“ erschienen. Hundertsieben Naziabgeordnete waren in den Reichstag eingezogen. Die Nazipartei hatte 6400000 Stimmen erhalten. Als Sedow in Berlin eintraf, herrschte in der Stadt eine fieberhaft gespannte, erwartungsvolle Stimmung. Die Braunhemden marschierten durch die Berliner Straßen; sie sangen das Horst-Wessel-Lied, schlugen die Schaufenster jüdischer Geschäfte ein und überfielen die Wohnungen und Vereinslokale der Liberalen und Sozialisten. Die Nazis waren guter Zuversicht. „Noch nie in meinem Leben war ich so gut aufgelegt und innerlich zufrieden wie in diesen Tagen“, schrieb Adolf Hitler im „Völkischen Beobachter“.

Offiziell war Deutschland noch immer eine Demokratie. Die Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und der Sowjetunion hatten einen Höhepunkt erreicht. Die Sowjetregierung kaufte bei deutschen Firmen Maschinen ein. Deutsche Techniker bekleideten leitende Stellungen im sowjetischen Bergbau und bei der Durchführung von Elektrifizierungsprojekten. Sowjetische Ingenieure besuchten Deutschland. Sowjetische Handelsvertreter, Einkäufer und Agenten, deren Tätigkeit mit den Aufgaben des Fünf jahresplanes in Zusammenhang stand, reisten ständig zwischen Moskau und Berlin hin und her. Einige dieser Sowjetbürger waren Trotzkisten oder ehemalige Anhänger Trotzkis, Sedow war als Vertreter seines Vaters nach Berlin gekommen. Sein Aufenthalt in dieser Stadt diente konspirativen Zwecken.

„Leo war ständig auf der Lauer“, schrieb Trotzki später in seiner Flugschrift „Leo Sedow: Sohn, Freund und Kämpfer“. „Mit unermüdlichem Eifer suchte er die Verbindungsfäden mit Rußland aufzunehmen; er spürte aus Rußland zurückgekehrte Reisende auf, er trat mit sowjetischen Studenten, die ins Ausland geschickt worden waren, und mit sympathisierenden Beamten in den Auslandsvertretungen in Verbindung.“ Es war Sedows wichtigste Aufgabe, in Berlin alte Mitglieder der Opposition ausfindig zu machen, Trotzkis Instruktionen an sie weiterzugeben oder wichtige Botschaften für seinen Vater von ihnen in Empfang zu nehmen.

Einer Anzahl prominenter Trotzkisten war es gelungen, sich Posten im Volkskommissariat für Außenhandel zu sichern. Zu ihnen gehörte Iwan N. Smirnow, der früher Offizier der Roten Armee und ein führendes Mitglied der trotzkistischen Leibgarde gewesen war. Nach einer kurzen Zeit der Verbannung folgte er dem Beispiel der übrigen Trotzkisten: er sagte sich von Trotzki los und suchte um Wiederaufnahme in die Kommunistische Partei an. Da er von Beruf Ingenieur war, erhielt er bald eine untergeordnete Stellung in der Transportmittelindustrie. Zu Beginn des Jahres 1931 wurde er einer für Berlin bestimmten Handelsmission als beratender Ingenieur zugeteilt.

Es gelang Leo Sedow, die Verbindung mit Smirnow herzustellen. Sie trafen sich heimlich in Sedows Wohnung oder in abgelegenen Vorstadtkneipen und Kaffeehäusern. Smirnow erfuhr, daß Trotzki eine Neuorganisierung der Opposition in Zusammenarbeit mit Agenten der deutschen Militärspionage plante.

In Zukunft, teilte ihm Sedow mit, müsse der Kampf gegen das Sowjetregime den Charakter einer Generaloffensive annehmen. Die alten Zwistigkeiten und politischen Differenzen zwischen Trotzki, Bucharin, Sinowjew, den Menschewiki, den Sozialrevolutionären und den übrigen antisowjetischen Gruppen und Parteien seien überholt und vergessen. Es handle sich um die Bildung einer oppositionellen Einheitsfront. Außerdem solle der Kampf von nun an eine aggressive Note erhalten. Das Sowjetregime müsse im ganzen Lande planmäßig durch Terror und Sabotage bekämpft werden. Die Angriffe würden nach einem sorgfältig abgestimmten System an den verschiedensten Orten gleichzeitig erfolgen und in den Reihen der Sowjetregierung hoffnungslose Verwirrung und völlige Demoralisierung hervorrufen. Dann werde es der Opposition ein leichtes sein, die Macht an sich zu reißen.

Smirnow erhielt zunächst den Auftrag, Trotzkis Anweisungen für die Wiederaufnahme der illegalen Arbeit und die Vorbereitung der Terror- und Sabotageakte an die vertrauenswürdigsten Mitglieder der Opposition in Moskau weiterzuleiten. Außerdem hatte er für die regelmäßige Absendung von „Informationsmaterial“ nach Berlin Sorge zu tragen. Diese Berichte sollten Sedow durch trotzkistische Kuriere überbracht und von ihm an Trotzki weiterbefördert werden. Das Kennwort der Kuriere lautete: „Ich bringe Grüße von Galja“.

Sedow ersuchte Smirnow, noch vor seiner Abreise den Leiter einer soeben in Berlin eingetroffenen sowjetischen Handelsmission aufzusuchen und ihm mitzuteilen, daß Sedow ihn in einer äußerst wichtigen Angelegenheit zu sprechen wünsche…

Dieser von der Sowjetregierung nach Berlin entsandte Repräsentant war Juri Leonidowitsch Pjatakow, ein alter, begeisterter Anhänger Leo Trotzkis.

Pjatakow sah aus wie ein Gelehrter. Niemand hätte in dem großen, schlanken, blassen, gut angezogenen Herrn mit der hoher, fliehender Stirn und dem gepflegten rötlichen Spitzbart einen alterprobten Verschwörer vermutet. Er war der erste prominente Trotzkist, der 1927 nach dem mißglückten Putsch mit Trotzki brach und um Wiederaufnahme in die Kommunistische Partei, ansuchte. Pjatakow hat eine hervorragende Begabung auf administrativem und organisatorischem Gebiet. Sogar in der Zeit, die er als Verbannter in Sibirien verbrachte, bekleidete er verschiedene wichtige Stellungen in der rasch aufblühenden Sowjetindustrie. 1929 wurde ihm der Wiedereintritt in die Partei probeweise gestattet. Er führte den Vorsitz in einer ganzen Reihe von Kommissionen, die sich mit der Planung von Transportprojekten und chemischen Industrieanlagen befaßten. 1931 wurde er Mitglied des Obersten Volkswirtschaftsrates, der höchsten sowjetischen Planungsstelle; im selben Jahr ging er als Leiter einer außerordentlichen Handelsmission nach Berlin, um im Auftrag der Sowjetregierung deutsche Werkzeugmaschinen einzukaufen.

Iwan Smirnow begab sich auftragsgemäß in Pjatakows Berliner Büro und teilte ihm mit, daß Leo Sedow in Berlin sei und ihm wichtige Nachrichten von Trotzki zu überbringen habe.

Pjatakow berichtet über die Zusammenkunft, die wenige Tage darauf zwischen ihm und Sedow stattfand:

„In der Nähe des Zoologischen Gartens gibt es das ‚Cafe am Zoo’. Dort fand ich Leo Sedow an einem kleinen Tisch. Wir waren von früher her gut miteinander bekannt. Er erklärte mir, daß er nicht im eigenen Namen, sondern im Auftrag seines Vaters zu mir spreche. Trotzki habe von meiner Anwesenheit in Berlin erfahren und ihm den Befehl erteilt, mich ausfindig zu machen und eine persönliche Unterredung herbeizuführen. Trotzki habe nie daran gedacht, auf die Wiederaufnahme des Kampfes gegen Stalin zu verzichten, aber die wiederholte Verlegung seines Wohnsitzes von einem Land ins andere habe einen vorübergehenden Stillstand verursacht. Trotzki lasse mich durch ihn wissen, daß der Zeitpunkt für den Wiederbeginn des Kampfes gekommen sei… Dann fragte mich Sedow geradeheraus: ‚Haben Sie die Absicht, sich an diesem Kampf zu beteiligen?’ Ich gab meine Zustimmung.“

Dann setzte ihm Sedow auseinander, nach welchen Grundsätzen Trotzki die Neuorganisierung der Opposition vorzunehmen gedenke:

„…Sedow erklärte mir das Prinzip der neuen Kampfmethode: es handle sich diesmal nicht um die Entwicklung eines Massenkampfes oder die Organisierung einer Massenbewegung. Jeder Versuch, die Massen zu erfassen, würde sofort zu Komplikationen führen. Trotzki sei fest entschlossen, den gewaltsamen Sturz der Stalin-Regierung durch Terrorismus und Sabotage herbeizuführen. Außerdem betone Trotzki immer wieder, daß die Beschränkung des Kampfes auf ein einziges Land sinnlos wäre und daß die Frage des Internationalismus keinesfalls umgangen werden könne. Dieser Kampf müsse auch die Lösung des internationalen Problems, oder richtiger, der zwischenstaatlichen Probleme herbeiführen. Jeder, der diese Fragen beiseite zu schieben versucht, sagte Sedow unter Bezug auf Trotzkis eigene Worte, stellt sich selbst ein Armutszeugnis aus.“

Bei einer zweiten Zusammenkunft, die bald darauf stattfand, sagte Sedow zu Pjatakow: „Sie sind sich gewiß darüber im klaren, Juri Leonidowitsch, daß für die Wiederaufnahme des Kampfes Geld erforderlich ist. Sie sind in der Lage, dieses Geld zu beschaffen.“ Und nun. setzte er Pjatakow auseinander, was er zu tun habe. In seiner Eigenschaft als offizieller Handelsvertreter der Sowjetregierung in Deutschland solle er möglichst viele Aufträge bei den Firmen Borsig und Demag[54] plazieren und bei der Festsetzung der Preise Nachsicht walten lassen. Trotzki habe mit Borsig und Demag ein Abkommen getroffen. „Sie werden höhere Preise bezahlen müssen“, sagte Sedow, „aber dieses Geld kommt unserer Arbeit zugute.“

Noch zwei andere Mitglieder der geheimen Opposition, die sich im Jahre 1931 in Berlin aufhielten, wurden von Sedow zur Mitarbeit herangezogen. Es waren Alexei Schestow, der Pjatakows Handelsmission als Ingenieur angehörte, und Sergei Bessonow, ein Mitglied der Berliner Handelsvertretung der UdSSR.

Bessonow, ein ehemaliger Sozialrevolutionär, war ein rundlicher, freundlich aussehender Mann von einigen vierzig Jahren. Die Berliner Handelsvertretung war die eigentliche Zentrale aller sowjetischen Handelsagenturen in Europa; von hier aus wurden Verhandlungen mit zehn verschiedenen Ländern geführt. Bessonow, der seinen ständigen Wohnsitz in Berlin hatte, war durch seine Stellung ideal geeignet, einen regelmäßigen Nachrichtendienst zwischen den russischen Trotzkisten und ihrem verbannten Führer aufrechtzuerhalten. Die Geheimmeldungen gingen von Rußland nach Berlin und wurden durch Bessonow an Sedow oder Trotzki weitergegeben.

Alexei Schestow war ganz anders geartet, und die ihm zugedachte Aufgabe war seinem Temperament angepaßt. Er sollte einer der Hauptorganisatoren der deutsch-trotzkistischen Spionage- und Sabotagezellen in Sibirien werden. Schestow, der einige dreißig Jahre alt war, gehörte der Direktion der Ostsibirischen Kohlenverwaltung an. Er hatte sich 1923, während seiner Studienzeit am Moskauer Bergbau-Institut, der trotzkistischen Opposition angeschlossen. 1927 leitete er eine der Moskauer Geheimdruckereien. Der schlanke, helläugige Jüngling widmete sich der Sache Trotzkis mit einer Rückhaltlosigkeit, die seinem heftigen, fanatischen Temperament entsprach. Er erzählte mit Vorliebe, daß er mehrmals persönlich mit Trotzki gesprochen hatte. Für Schestow war Trotzki „der Führer“, und so nannte er ihn auch fast immer.

„Es hat keinen Zweck, herumzusitzen und auf schönes Wetter zu warten“, sagte Sedow, als er in Berlin mit Schestow zusammenkam. „Wir müssen mit allen uns zur Verfügung stehenden Kräften und Mitteln zu einer aktiven Diskreditierung der Stalinschen Führung und der Stalinschen Politik übergehen.“ Nach Trotzkis Ansicht gebe es nur einen Weg zum Erfolg. Es sei ein schwieriger, aber sicherer Weg: die gewaltsame Entfernung Stalins und seiner Regierung durch terroristische Methoden.

„Wir sind tatsächlich in eine Sackgasse geraten“, gab Schestow bereitwillig zu. „Wir müssen die Waffen strecken - oder neue Kampfmittel finden!“

Sedow fragte Schestow, ob ihm ein deutscher Industrieller namens Dehlmann bekannt sei. Schestow kannte ihn nur vom Hörensagen. Dehlmann war einer der Direktoren der Firma Froelich-Klüpfel-Dehlmann. In den westsibirischen Bergwerken, wo Schestow arbeitete, waren Ingenieure dieser Firma angestellt.

Sedow gab Schestow den Auftrag, sich vor seiner Abreise nach Sowjetrußland mit Dehlmann in Verbindung zu setzen, da die Firma Dehlmann die trotzkistische Organisation bei der „Untergrabung der sowjetischen Wirtschaft“ in Sibirien wirksam unterstützen könne. Herr Dehlmann leiste bereits bei der Beförderung von trotzkistischen Agenten und von Propagandaliteratur über die Sowjetgrenze wertvolle Dienste. Als Gegenleistung könne Schestow Herrn Dehlmann gewisse Informationen über die neuen sibirischen Bergwerke und Industrien anbieten, an denen der deutsche Industrielle besonders interessiert sei.

„Sie verlangen ja ganz einfach, daß ich Spionage betreibe!“ rief Schestow aus.

Sedow zuckte die Achseln. „Es ist lächerlich, solche Worte zu gebrauchen“, sagte er. „Wenn man kämpft, kann man nicht so empfindlich sein. Wenn Sie den Terrorismus und die destruktive Untergrabung der Industrie als Kampfmethode anerkennen, dann ist mir nicht klar, warum Sie sich gerade dagegen wehren.“

Schestow gab den Inhalt dieser Unterredung einige Tage später an Smirnow weiter.

„Sedow hat mir den Auftrag erteilt, mit der Firma Froelich-Klüpfel-Dehlmann in Verbindung zu treten“, sagte er. „Er forderte mich ganz unumwunden auf, mit einer Firma zusammenzuarbeiten, die im Kusnezkbecken Spionage und Sabotage betreibt.“

„Werfen Sie doch nicht mit so großen Worten herum!“ schrie Smirnow. „Die Zeit vergeht, und wir müssen handeln … Warum finden Sie es denn so merkwürdig, wenn wir die Möglichkeit ins Auge fassen, die Stalin-Regierung durch die Mobilisierung aller gegenrevolutionären Kräfte im Kusnezkbecken zu stürzen? Und warum ist es denn so schrecklich, wenn wir uns dabei deutscher Agenten bedienen? …. Wir haben keine Wahl. Wir müssen darauf eingehen.“

Schestow schwieg. Smirnow sagte: „Nun, was ist Ihre Meinung?“

„Ich habe keine persönliche Meinung“, sagte Schestow. „Ich tue, was unser Führer Trotzki uns gelehrt hat: ich stehe, hab acht’ und warte auf Befehle!“

Bevor Schestow Berlin verließ, besuchte er Herrn Dehlmann, den Direktor der deutschen Firma, die Trotzki finanzierte. Schestow wurde unter dem Geheimnamen „Aljoscha“ in die Agentenlisten der deutschen Militärspionage aufgenommen. Schestow erklärte später:

„Ich lernte den Direktor der Firma, Dehlmann, und seinen Mitarbeiter Koch kennen. Die Unterhaltung mit den Leitern der Firma Froelich-Klüpfel-Dehlmann hatte in erster Linie die Lieferung von vertraulichen Informationen durch Vermittlung der im Kusnezkbecken beschäftigten Vertreter dieser Firma und die gemeinsame Organisation der Sabotagetätigkeit zum Gegenstand. Die Firma bestätigte auch ihre Bereitwilligkeit, uns zu unterstutzen und, wenn unsere Organisation es wünsche, mehr Leute nach Sibirien zu senden. Sie wollten ihr möglichstes tun, um den Trotzkisten zur Macht zu verhelfen.“[55]

Sedow gab Schestow einen Brief mit, der für den inzwischen nach Moskau zurückgekehrten Pjatakow bestimmt war. Schestow schmuggelte den Brief in seiner Schuhsohle über die Grenze und lieferte ihn später im Volkskommissariat für Schwerindustrie bei Pjatakow ab. Es war ein persönliches Schreiben Trotzkis aus Prinkipo, das die „dringendsten Aufgaben“ der Opposition in Sowjetrußland darlegte.

Die erste Aufgabe bestehe darin, „alle erdenklichen Mittel gegen Stalin und seine Verbündeten in Anwendung zu bringen“. Das bedeutete Terrorismus.

Die zweite Aufgabe sei „die Vereinigung aller stalinfeindlichen Kräfte“. Das bedeutete Kooperation mit dem deutschen Geheimdienst und allen anderen sowjetfeindlichen Kräften, die zur Zusammenarbeit mit der Opposition bereit waren.

Als dritte Aufgabe bezeichnete Trotzki die „Vereitelung aller Regierungs- und Parteimaßnahmen, besonders auf wirtschaftlichem Gebiet“. Das bedeutete Sabotage.

Pjatakow sollte als Trotzkis Stellvertreter die Leitung des Verschwörerapparates in Sowjetrußland übernehmen.

3. Die drei Schichten

Im Laufe des Jahres 1932 nahm Rußlands künftige Fünfte Kolonne allmählich im Rahmen der illegalen Opposition feste Formen an.

In Geheimversammlungen und Konferenzen mit beschränkter Teilnehmerzahl wurden die Mitglieder der Verschwörung über die neue Linie und die sich daraus ergebenden Aufgaben unterrichtet.

Das Netzwerk der Terror- und Sabotagezellen und der Nachrichtendienst der Kuriere erstreckten sich bald über ganz Sowjetrußland.

In Moskau und Leningrad, im Kaukasus und in Sibirien, im Donbas und im Ural veranstalteten die trotzkistischen Organisationen Geheimversammlungen, in denen sich die unentwegten Feinde des Sowjetregimes zusammenfanden. Alle Schattierungen waren vertreten: Sozialrevolutionäre, Menschewiki, Anhänger der linken und der rechten Opposition, Nationalisten, Anarchisten, weißgardistische Faschisten und Monarchisten. Trotzkis Botschaft machte ihren Weg durch die gärende Unterwelt der Oppositionsmacher, Spione und Geheimagenten; eine neue Offensive gegen die Sowjetregierung war in Vorbereitung.

Einige der älteren trotzkistischen Intellektuellen fühlten sich durch Trotzkis energisches Bestehen auf Terrorakten zunächst beunruhigt. Der Journalist Karl Radek schien völlig verzweifelt, als er von Pjatakow mit den Grundzügen der neuen Taktik bekannt gemacht wurde. Im Februar 1932 erhielt Radek einen persönlichen Brief von Trotzki. Das Schreiben wurde, wie alle vertraulichen Mitteilungen, die zwischen Trotzkisten hin und her gingen, durch einen Geheimkurier überbracht. Trotzki schrieb seinem wankelmütigen Anhänger Radek:

„Du mußt an die Erfahrungen der vergangenen Periode denken und Dir darüber klar werden, daß es für Dich keine Rückkehr zur Vergangenheit geben kann. Wir sind in eine neue Phase des Kampfes eingetreten, die uns vor die Entscheidung stellt: entweder gemeinsam mit der Sowjetunion zugrunde zu gehen oder die Beseitigung der Parteileitung zur Diskussion zu stellen.“

Radek ließ sich schließlich durch Trotzkis Brief und Pjatakows Vorhaltungen überzeugen. Er schloß sich der neuen Taktik an: Terrorismus, Sabotage und Zusammenarbeit mit „ausländischen Mächten“.

Iwan Smirnow und seine alten Kameraden aus der Trotzki-Garde, Sergei Mratschkowski und Ephraim Dreitzer, taten sich bei der Organisierung terroristischer Zellen, die jetzt in allen Teilen der Sowjetunion gegründet wurden, durch besondere Aktivität hervor. Mratschkowski und Dreitzer begannen, unter Smirnows Anleitung kleine Gruppen zusammenzustellen, in denen neben Berufsterroristen ehemalige trotzkistische Bundesgenossen aus den Tagen des Bürgerkrieges vertreten waren, denen die gewaltsamen Methoden zusagten.

„Die Hoffnungen, die wir auf das Versagen der Parteipolitik gesetzt hatten“, erklärte Mratschkowski 1932 in Moskau vor einer dieser Terroristengruppen, „sind gescheitert. Die bisherigen Kampfmethoden haben keine positiven Ergebnisse gezeitigt. Nur ein Weg steht uns noch offen: die gewaltsame Beseitigung der Parteileitung. Stalin und die übrigen Führer müssen beseitigt werden. Das ist unsere wichtigste Aufgabe.“

Indessen bemühte sich Pjatakow, einflußreiche Persönlichkeiten der Industrie, besonders der Kriegsindustrie und des Verkehrswesens, als Mitarbeiter für die von Trotzki geplante große Sabotagekampagne gegen die Sowjetwirtschaft zu gewinnen.

Im Sommer 1932 verhandelte Pjatakow als Trotzkis Stellvertreter in Rußland mit dem Führer der Rechtsopposition Bucharin über die Beilegung der alten Rivalitäten und Meinungsverschiedenheiten und die Möglichkeit eines gemeinsamen Vorgehens unter Trotzkis Oberbefehl. Die kleinere, von Sinowjew und Kamenew geleitete Oppositionsgruppe erklärte sich bereit, Trotzki als höchste Autorität anzuerkennen. Bucharin schilderte später die erregte Atmosphäre, in der diese Verhandlungen vor sich gingen.

„Ich hatte Auseinandersetzungen mit Pjatakow, Tomski und Rykow, der seinerseits mit Kamenew, Sinowjew und Pjatakow konferierte. Im Sommer 1932 fand im Volkskommissariat für Schwerindustrie eine neuerliche Unterredung zwischen mir und Pjatakow statt. Das war damals mit Leichtigkeit zu bewerkstelligen, da ich unter Pjatakow arbeitete. Er war mein Chef, ich konnte ihn daher in seinem Privatbüro aufsuchen, ohne den mindesten Verdacht zu erregen …. Im Verlaufe dieser Unterhaltung, die im Sommer 1932 stattfand, erzählte mir Pjatakow von seiner Zusammenkunft mit Sedow und dessen Ausführungen über Trotzkis Terrorpolitik. Wir kamen zu dem Ergebnis, daß es möglich sein werde, die zwischen uns bestehenden Differenzen beizulegen und in kurzer Zeit eine gemeinsame Linie für den Kampf gegen die Sowjetmacht zu finden.“

In einer Geheimversammlung, die im Herbst des Jahres außerhalb von Moskau in einer verlassenen „Datscha“ (Sommerhaus) abgehalten wurde, kam es zur endgültigen Einigung. Um peinliche Überraschungen zu vermeiden, hatten die Verschwörer rund um das Haus und auf sämtlichen Zufahrtstraßen Posten aufgestellt. In dieser Versammlung wurde eine Art von Oberkommando der vereinten Streitkräfte der Opposition gebildet, das die Leitung des bevorstehenden Terror- und Sabotagefeldzuges übernehmen sollte. Dieses Oberkommando der Opposition erhielt den Namen „Block der Rechten und Trotzkisten“. Es wurde in drei Ebenen oder Schichten angelegt. Im Falle der Ausschaltung einer dieser Schichten sollten die beiden anderen die Arbeit fortsetzen.

Die erste Schicht, das terroristische trotzkistisch-sinowjewistische Zentrum, stand unter der Führung Sinowjews, der für die Organisierung und Leitung der Terrorakte verantwortlich war.

Die zweite Schicht, das trotzkistische Parallele Zentrum unter Pjatakow, war für die Organisation und Leitung der Sabotage zuständig.

Die dritte und wichtigste Schicht, der von Bucharin und Krestinski geleitete eigentliche „Block der Rechten und Trotzkisten“, umfaßte den größten Teil der Führer und die bedeutendsten Mitglieder der geeinten Opposition.

Alles in allem verfügte der Apparat nur über ein paar tausend Mitglieder und zwanzig bis dreißig Führer, die einflußreiche Stellungen in Heer und Sicherheitsdienst, im Volkskommissariat für Auswärtige Angelegenheiten, in der Industrie und den Gewerkschaften, in Partei und Regierung innehatten.

Der Block der Rechten und Trotzkisten war seit dem Augenblick seiner Gründung von bezahlten Agenten ausländischer Spionageorganisationen, besonders des deutschen militärischen Geheimdienstes, durchsetzt und geleitet. Zu den Auslandsagenten, die in der neuen Verschwörerorganisation eine führende Rolle spielten, gehörten:

Nikolai Krestinski, Trotzkist und Stellvertretender Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten, seit 1923 Agent des deutschen militärischen Geheimdienstes. Die ersten Aufträge erhielt er von General Hans von Seeckt.

Arkadi Rosengolz, Trotzkist und Volkskommissar für Außenhandel. Er arbeitete seit 1923 für das deutsche Oberkommando. Rosengolz selbst berichtete später: „Meine Spionagetätigkeit begann bereits im Jahr 1923. Damals übergab ich dem Oberkommandierenden der Reichswehr Seeckt und dem deutschen Generalstabschef Haase in Trotzkis Auftrag verschiedene vertrauliche Informationen.“ 1926 wurde Rosengolz Mitarbeiter des englischen Geheimdienstes, ohne jedoch seine Verbindung mit Deutschland abzubrechen.

Christian Rakowski, Trotzkist und ehemaliger sowjetischer Botschafter in England und Frankreich, seit 1924 Agent des britischen Geheimdienstes. Rakowski selbst sagte: „1924 trat ich in gesetzwidrige Beziehungen zum englischen Geheimdienst.“ Seit 1934 war Rakowski auch für den japanischen Geheimdienst tätig.

Stanislaw Rataitschak, Trotzkist und Direktor der Zentralverwaltung der chemischen Industrie; Agent des deutschen Geheimdienstes. Er wurde von den Deutschen unmittelbar nach der Revolution nach Sowjetrußland geschickt und betrieb Spionage und Sabotage in den Industrien, die von der Sowjetregierung im Ural errichtet wurden.

Iwan Hrasche, Trotzkist, Angestellter in der sowjetrussischen chemischen Industrie. Er ging 1919 in der Verkleidung eines heimkehrenden russischen Kriegsgefangenen im Auftrag des tschechoslowakischen Spionagedienstes nach Sowjetrußland. Später wurde er Agent des deutschen Geheimdienstes.

Alexei Schestow, Trotzkist und Mitglied der Direktion der Kohlenverwaltung „Kusnezkugol“. 1931 wurde er Agent des deutschen Geheimdienstes, für den er durch Vermittlung der deutschen Firma Froelich-Klüpfel-Dehlmann arbeitete. Er führte in Sibirien Spionage- und Sabotageaufträge aus.

Gawril Puschin, Trotzkist und Angestellter der Chemischen Werke in Gorlowka. Wurde 1935 Agent des deutschen militärischen Geheimdienstes. Nach seiner eigenen späteren Aussage lieferte er den Deutschen: „l. zahlenmäßige Angaben über die Erzeugung der gesamten chemischen Industrie Sowjetrußlands im Jahre 1934; 2. das Arbeitsprogramm sämtlicher sowjetischen chemischen Werke für 1935; 3. die Baupläne der Stickstoffwerke bis zum Jahre 1938.“

Jakow Lifschitz, Trotzkist und Beamter der Fernöstlichen Eisenbahnkommission der UdSSR. Er war Agent der japanischen Militärspionage und sandte regelmäßig vertrauliche Berichte über die sowjetischen Eisenbahnen nach Japan.

Iwan Knjasew, Trotzkist, einer der leitenden Funktionäre des Eisenbahnnetzes im Ural. Agent des japanischen Geheimdienstes, unter dessen Anleitung er im Ural Sabotage betrieb. Er lieferte dem japanischen Heereskommando Informationen über das Transportsystem der Sowjetunion.

Josef Turok, Trotzkist, stellvertretender Direktor der Verkehrsabteilung der Perm- und Ural-Eisenbahn; Agent des japanischen Geheimdienstes. 1935 erhielt er von den Japanern 35000 Rubel als Bezahlung für Spionage- und Sabotageleistungen im Ural.

Michail Tschernow, Mitglied der Rechten, Volkskommissar für Landwirtschaft; seit 1928 Agent der deutschen Militärspionage. Tschernow betrieb unter der Aufsicht der Deutschen eine ausgedehnte Sabotage- und Spionagetätigkeit in der Ukraine.

Wassili Scharmgowitsch, Mitglied der Rechten, Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei von Bjelorußland. Er wurde 1921 als polnischer Spion nach Sowjetrußland geschickt, wo er während der folgenden Jahre unter Anleitung des polnischen Geheimdienstes arbeitete. Er beschaffte Spionagematerial und führte in Bjelorußland Sabotageakte aus.

Grigon Onnko, Mitglied der Rechten und Beamter des Volkskommissariats für Finanzwesen. Seit 1932 Agent des deutschen und polnischen Geheimdienstes. Er war einer der Führer der ukrainischen faschistisch-nationalistischen Bewegung. Er half beim Schmuggel von Waffen und Munition nach Sowjetrußland und betrieb sowohl für die Deutschen als auch für die Polen Spionage und Sabotage.

Der Verschwörerapparat der geeinten Opposition war in Wirklichkeit die Fünfte Kolonne der Achse in Sowjetrußland.


ANMERKUNGEN

  1. Über Nins spätere Verbindung mit der faschistischen Fünften Kolonne in Spanien, siehe Fußnote im Abschnitt 3 dieses Kapitels.

  2. Die Firmen Borsig und Demag waren „Aushängeschilder“ der deutschen Militärspionage. Durch Geschäftsabschlüsse mit diesen Firmen wurde es Pjatakow möglich, Trotzki erhebliche Summen zur Verfügung zu stellen. Ein unabhängiger Zeuge, der amerikanische Ingenieur John D. Littlepage, hatte Gelegenheit, Pjatakows Verhandlungen mit diesen Firmen persönlich zu verfolgen. Die Sowjetregierung hatte Littlepage als Fachmann für Gold- und Kupferbergbau engagiert. Im Januar 1938 veröffentlichte Littlepage in der „Saturday Evening Post“ eine Artikelserie über seine Erfahrungen in Rußland:

    „Im Frühjahr 1931 reiste ich mit einer von Pjatakow geleiteten Einkaufskommission nach Berlin. Ich sollte beim Einkauf von Bergwerksmaschinen als technischer Berater fungieren.

    Die Kommission kaufte in Berlin unter anderem mehrere Dutzend Bergwerksaufzüge von 100 bis 1000 PS. … Die Kommission verlangte, daß die Preise in Pfennigen pro Kilogramm berechnet würden. Nach einigen Konferenzen ermäßigten die deutschen Firmen (Borsig und Demag) ihre Preise um 5 bis 6 Pfennig pro Kilogramm. Bei genauer Prüfung dieser Offerte stellte ich fest, daß die Firmen die in den Spezifikationen vorgesehenen Leichtstahlbodenflächen durch gußeiserne ersetzt hatten, die mehrere Tonnen wogen. Dadurch wurden die Produktionskosten verringert, aber das Gewicht erhöht, was für den Käufer eine Verteuerung bedeutete.

    Ich war über diese Entdeckung natürlich sehr erfreut und erstattete den Mitgliedern der Kommission triumphierend Bericht… Es war alles sehr geschickt arrangiert: Pjatakow hätte nach seiner Rückkehr in Moskau darauf hinweisen können, daß es ihm gelungen sei, eine beträchtliche Preisreduzierung durchzusetzen; in Wirklichkeit hätte er für eine Menge wertlosen Gußeisens teures Geld bezahlt und den Deutschen dadurch die Möglichkeit gegeben, ihm hohe Rabatte zu bewilligen … In diesem einen Fall hatte ich Erfolg, aber bei anderen Bestellungen kam er mit dem gleichen Trick durch.“

    Später konnte Littlepage einige Fälle von Industriesabotage beobachten. In gewissen Bergwerken des Urals wurde die Produktion durch den Einnuß eines trotzkistischen Ingenieurs namens Kabakow systematisch gedrosselt. Im Jahr 1937 wurde Kabakow nach dem Bericht des Amerikaners „wegen Industriesabotage verhaftet… Ich war durchaus nicht erstaunt, als ich von seiner Verhaftung hörte.“ Im gleichen Jahr stellte Littlepage weitere Fälle von Sabotage in Industriebetrieben fest, die unter der persönlichen Leitung Pjatakows standen. Der amerikanische Ingenieur hatte einige wertvolle Bergwerke im südlichen Kasachstan wieder in Gang gebracht und genaue, schriftliche Instruktionen für die sowjetischen Arbeiter zurückgelassen, durch deren Befolgung die Höchstgrenze der Produktion erreicht worden wäre. „Im Jahre 1937, gegen Ende meines Aufenthaltes in Rußland“, schreibt Littlepage, „erhielt ich die dringende Aufforderung, diese Bergwerke noch einmal zu besuchen… Viele tausend Tonnen kostbaren Erzes waren bereits unwiederbringlich verloren - wenige Wochen später wäre vielleicht das ganze Lager verloren gewesen. Ich erfuhr, daß … eine Kommission aus Pjatakows Hauptquartier eingetroffen war … Meine Instruktionen waren in den Ofen gewandert, und man hatte in diesen Bergwerken ein System angewandt, das in wenigen Monaten zum Verlust eines großen Teiles der Erzlager führen mußte.“ Littlepage stellte „offenkundige Beispiele von vorsätzlicher Sabotage“ fest. Er unterbreitete den Sowjetbehörden einen schriftlichen Bericht, und kurz vor seiner Abreise aus Rußland wurden zahlreiche Mitglieder des trotzkistischen Sabotageringes auf Grund seiner Feststellungen verhaftet. Littlepage fand heraus, daß die Saboteure seine Instruktionen als Grundlage ihres Zerstörungsplanes benutzt hatten, indem sie genau das Gegenteil, von dem taten, was er angeordnet hatte. Die Saboteure gaben zu, daß sie „durch oppositionelle Kommunisten in eine Verschwörung gegen die Stalin-Regierung hineingezogen worden waren. Sie hatten sich überzeugen lassen, daß diese Opposition stark genug sei, um Stalin und seine Umgebung zu stürzen und selbst zur Macht zu gelangen.“

  3. Die Deutschen interessierten sich besonders für die neue Industriebasis, die Stalin im fernen Westsibirien und im Ural erstehen ließ. Diese für Bombenflugzeuge unerreichbare Basis konnte sich im Kriegsfall als wichtige Stütze der Sowjetmacht erweisen. Es war die Absicht der Deutschen, diese Basis mit Spionen und Saboteuren zu durchsetzen. Die Firmen Borsig, Demag und Froelich-Klüpfel-Dehlmann, mit denen die Sowjetunion Verträge über Maschinenlieferungen und technische Beratung zur Förderung des Fünfjahresplanes abgeschlossen hatte, wurden von der deutschen Militärspionage als „Tarnung“ benutzt. Deutsche Spione und Saboteure wurden als „Ingenieure“ und „Spezialisten“ nach Rußland geschickt.

    Der deutsche Spionagedienst bezog seine Agenten auch aus den Reihen der in Deutschland lebenden Sowjetingenieure, die man durch Erpressung oder Bestechung gefügig zu machen versuchte. Ein solcher Ingenieur, Michail Stroilow, der im Dezember 1930 in Berlin als Spion angeworben und später in die trotzkistische Organisation in Sibirien aufgenommen wurde, erklärte nach seiner Verhaftung im Jahre 1937 vor dem sowjetischen Gericht:

    „Der Beginn war eine Zusammenkunft mit (dem deutschen Spion) von Berg … Er sprach ausgezeichnet Russisch, weil er vor der Revolution 15 oder 20 Jahre in St. Petersburg gelebt hatte. … Berg riet mir, Trotzkis Buch ‚Mein Leben’ zu lesen… In Nowosibirsk erhielt ich den Besuch deutscher Spezialisten; sie nannten das vereinbarte Kennwort. Bis Ende 1934 kamen sechs Spezialisten: Sommereggern, Wurm, Baumgarten, Maas, Hauer und Flessa („Ingenieure“ der deutschen Firma Froelich-Klüpfel-Dehlmann) … Mein erster Bericht, den ich im Januar 1932 durch Ingenieur Flessa weiterleitete, enthielt Angaben über den umfangreichen Ausbauplan des Kusnezkbeckens; es war ein regelrechter Spionagebericht… Ich erhielt den Auftrag, zu einschneidenden Sabotageakten und Zerstörungen überzugehen … der Zerstörungs- und Vernichtungsplan wurde von der … westsibirischen trotzkistischen Organisation entworfen.“

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